Matthäus 18,21f.Da trat Petrus zu Jesus und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er gegen mich sündigt? Bis zu siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Ich sage dir nicht: Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal.Einheitsübersetzung 2016 Der gestohlene Frieden
Das Erschrecken war gross, als in der Ukraine die ersten Panzer rollten und Bomben explodierten. Fast ein Menschenleben lang war es gelungen, einen solchen Invasionskrieg aus unserem europäischen Denken fernzuhalten. Längst weggelegt war die Vorstellung von Bomben, die Frauen und Kinder treffen in Dörfern und Städten, die auch die unsrigen sein könnten. Unvorstellbar geworden waren Flüchtlingsströme traumatisierter Menschen quer durch das europäische Haus. Der satte Frieden der letzten Jahrzehnte legte einen dicht gewobenen Mantel des Undenkbaren über die Arsenale und Schaltzentralen von Waffen – Mittel der Gewalt, die das wache Menschheitsgewissen auf die Schrottplätze der Geschichte verbannt und sich so etwas wie Erlösung geschaffen hatte.Und dann sind wir in den letzten Februartagen aufgewacht, und der Friede war uns gestohlen worden!Was niemand je mehr denken wollte, wird mit einem Schlag zur realen Möglichkeit. Zum kalkulierten Einsatz in einem bizarren Pokerspiel der Macht, in dem das Menschenleben kein nennenswertes Gewicht mehr haben soll. Aufgewühlt, sprachlos und voller Sehnsucht werden in unseren Städten und Dörfern Friedensfahnen aus den Fenstern gehängt. In den Farben des Regenbogens, der damals nach der grossen Flut der Bibel den endgültigen Frieden zwischen Gott und den Menschen besiegelt hatte, zeugen sie nun von einer erschreckten Sehnsucht nach dem gestohlenen Frieden, der nicht endgültig sein konnte. Sie sind in den Wind gehängtes Zeugnis und Mutmacher zugleich.Die Wirklichkeit des Geschehens, die als Bilder aus ungeprüften Quellen unsere Nachrichten und unsere Sinne flutet, lässt hemmungslos Tränen fliessen. Die Vorstellung dessen, was noch werden könnte, wenn ein verletzter Stolz entfesselt, ein schamloser Befehl befolgt und ein falscher Knopf gedrückt wird, lässt viele fassungslos erbleichen. Sie treibt denen, die sich erinnern, die letzte Farbe aus dem Gesicht, und sie verdunkelt so manche Zukunftsträume jener, die – wie fast alle – den Frieden für selbstverständlich nahmen.Jetzt ist er weg, gestohlen. Er wurde nicht einfach schnell mal abgehängt wie die Friedensfahne neben unserer Kirche, die jemand wohl dringender an seinem eigenen Fenster brauchte. Nein, jeder Tag des Krieges wirft neue Türen zum Frieden zu und lässt die letzten Reste von Friedenshoffnung im Rauch der Explosionen selbst in Rauch aufgehen. Jetzt braucht es Menschen, die zugeworfene Türen unbeirrt öffnen, nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal. Es braucht Menschen, die nicht nach dem
Warum und nicht nach dem
Woher fragen, sondern ohne Berechnung zu einem neuen
Wohin einladen, wie Konrad der Klosterpförtner von Altötting, der einfach da war und die Türe offenhielt, allen, jeder und jedem, die Frieden finden und zu neuer Lebenskraft machen wollten.
Felix Terrier, Priester und Gemeindeleiter im Seelsorgeverband Angenstein und Leiter des Pastoralraums Birstal Mit diesem Beitrag nimmt Pfarrer Felix Terrier, Aesch, seine Mitarbeit an «Kirche heute» auf. Die Redaktion heisst ihn im Kreis der Impuls-Autorinnen und ‑Autoren herzlich willkommen.