Der Dalai Lama​ und die Schweiz
Der Dalai Lama ermutigt die Menschen, ihren Teil zu einem friedlichen Zusammenleben auf dem Planeten beizutragen. Filmbild aus «Wisdom of Happiness»
Bild: © 2024 Ascot Eli­te Entertainment.

Der Dalai Lama​ und die Schweiz

Seine Friedensbotschaft hat nicht immer Konjunktur

Die grösste tibetische Exilgemeinschaft lebt in der Schweiz. Pfannenfabrikanten aus dem Zürcherischen Rikon sind dafür verantwortlich. Mit dem Segen des Dalai Lamas liessen sie ein Tibetisches Kloster bauen und setzten den Grundstein für eine andauernde Beziehung zum geistlichen tibetischen Oberhaupt. Die Regisseurin Barbara Miller und der Fotograf Manuel Bauer aus der Schweiz haben mit und über den Dalai Lama einen Film gemacht.

Ten­zin Gyatso, bes­ser bekannt als Sei­ne Hei­lig­keit der 14. Dalai Lama, ist mit der Schweiz auf beson­de­re Wei­se ver­bun­den. Denn auf Initia­ti­ve des Schwei­ze­ri­schen Roten Kreu­zes war die Schweiz 1961 das erste euro­päi­sche Land, das Flüch­ten­de aus Tibet auf­nahm. Chi­nas Volks­be­frei­ungs­ar­mee hat­te 1950 das tibe­ti­sche Hoch­ge­birgs­land besetzt, wor­auf der Dalai Lama mit sei­nen Gefolgs­leu­ten 1959 nach Dha­ram­sa­la ins indi­sche Exil floh. Tau­sen­de Tibe­te­rin­nen und Tibe­ter folg­ten ihm und flüch­te­ten von dort in ande­re Län­der. Bis heu­te leben in der Schweiz rund 8000 Tibe­te­rin­nen und Tibe­ter und bil­den die gröss­te tibe­ti­sche Exil­ge­mein­schaft in Europa.

Zivil­ge­sell­schaft­li­ches Engagement

Die Pfan­nen­fa­bri­kan­ten Hen­ri und Jac­ques Kuhn aus Rikon im Kan­ton Zürich stell­ten ab 1964 Arbeits­plät­ze und Fir­men­woh­nun­gen für Geflüch­te­te zur Ver­fü­gung. Auf Anra­ten des Dalai Lama rei­sten 1967 tibe­ti­sche Mön­che nach Rikon, um den Geflüch­te­ten in der Fer­ne auch ein reli­giö­ses Zuhau­se zu bie­ten. Mit dem Segen des Dalai Lama bau­ten die Gebrü­der Kuhn das Klö­ster­li­che Tibet-Insti­tut, das ein­zi­ge tibe­tisch-bud­dhi­sti­sche Klo­ster aus­ser­halb Asi­ens. An des­sen Eröff­nungs­fei­er im Jahr 1968 durf­te der Dalai Lama selbst aller­dings nicht teil­neh­men. Sein Gesuch, die Schweiz zu besu­chen, wur­de abschlä­gig beant­wor­tet. Die offi­zi­el­le Schweiz stand damals für ihr Enga­ge­ment für die tibe­ti­schen Geflüch­te­ten unter Druck der chi­ne­si­schen Regierung.

Film­tipp: «Wis­dom of Happiness»

Eine per­sön­li­che Lehr­stun­de mit dem Dalai Lama

2019 hat­ten die Schwei­zer Regis­seu­rin Bar­ba­ra Mil­ler («Fema­le Plea­su­re») und der Foto­graf Manu­el Bau­er die Gele­gen­heit, den damals 84-jäh­ri­­gen Dalai Lama zu inter­view­en. Der Film, der auf die­sem Inter­view basiert, ist eine Lehr­stun­de: Der Dalai Lama gibt dar­in spi­ri­tu­el­le und lebens­prak­ti­sche Anwei­sun­gen, ver­mit­telt Atem­tech­ni­ken und erklärt den Unter­schied zwi­schen Erschei­nung und Wirk­lich­keit, zwi­schen kon­struk­ti­ven und destruk­ti­ven Emo­tio­nen. Sei­ne Anwei­sun­gen sind ein­fach umsetz­bar und leuch­ten ein. «Eine fried­li­che Gesell­schaft kommt nicht durch Zwang, son­dern durch Eigen­in­itia­ti­ve – du kannst einen Bei­trag lei­sten», sagt der Dalai Lama direkt in die Kame­ra. So füh­len sich die Zuschau­en­den per­sön­lich ange­spro­chen. Die Aus­füh­run­gen des Leh­rers sind hin­ter­legt mit Natur­auf­nah­men und Satel­li­ten­bil­dern vom blau­en Pla­ne­ten. Das wirkt manch­mal etwas gar monu­men­tal und steht in star­kem Kon­trast zur Ein­fach­heit des Mönchs. Inter­es­sant aber sind die Archiv­auf­nah­men, die Bil­der aus der Kind­heit des Dalai Lama zei­gen oder sei­ne Flucht nach Indi­en. Der Film lässt die Zuschau­en­den hoff­nungs­voll zurück. Denn der Dalai Lama spricht uns per­sön­lich an und ermäch­tigt jeden ein­zel­nen, sei­nen Teil zu einer fried­li­chen Welt bei­zu­tra­gen. (eme)

Den Film kön­nen Sie auf der Stre­a­­ming-Plat­t­­form cinefile.ch strea­men.

Die Regis­seu­rin Bar­ba­ra Mil­ler, der Regis­seur Phil­ip Dela­quis (rechts oben) und Foto­graf Manu­el Bau­er (rechts unten) pfle­gen zum Teil lang­jäh­ri­ge Bezie­hun­gen zum Dalai Lama. © 2024 Ascot Eli­te Entertainment.

Mehr oder weni­ger willkommen

Der Dalai Lama besuch­te die Schweiz rund 20-mal. Zum ersten Mal im Jahr 1973. Aber erst 1991 emp­fing René Fel­ber als Mit­glied des Bun­des­rats den Dalai Lama offi­zi­ell. Dem Tref­fen vor­an­ge­gan­gen war das Mas­sa­ker von Tian’anmen am 4. Juni 1989, bei dem das chi­ne­si­sche Mili­tär hun­der­te Men­schen, die für Demo­kra­tie pro­te­stier­ten, töte­te. Im glei­chen Jahr erhielt der Dalai Lama den Frie­dens­no­bel­preis für sei­ne Frie­dens­be­mü­hun­gen gegen­über der chi­ne­si­schen Regie­rung. Danach war der Bun­des­rat bis auf weni­ge Aus­nah­men wie­der zurück­hal­tend mit offi­zi­el­len Emp­fän­gen des Dalai Lama, um sei­ne diplo­ma­ti­schen Bezie­hun­gen mit Chi­na nicht zu strapazieren.

Kul­tu­rel­les Erbe in Gefahr

Aktu­ell gibt die Auf­he­bung des Stu­di­en­gan­ges «Zen­tral­asia­ti­sche Kul­tur­wis­sen­schaft» an der Uni­ver­si­tät Bern zu reden. Damit gehe die Mög­lich­keit ver­lo­ren, tibe­ti­sche Spra­che und Geschich­te an einer Schwei­zer Uni­ver­si­tät zu stu­die­ren, kri­ti­siert die Inter­na­tio­nal Asso­cia­ti­on for Tibe­tan Stu­dies in ihrem Brief an die Uni Bern. Das ist umso bedenk­li­cher, als dass damit dem chi­ne­si­schen Staat in die Hän­de gespielt wird, der ver­sucht, das kul­tu­rel­le Erbe der ­Tibe­te­rin­nen und Tibe­ter aus­zu­lö­schen. Etwa in dem er seit 2023 Tibet offi­zi­ell Xizang nennt. Auch im Aus­land ver­sucht der chi­ne­si­sche Staat die Sprach­re­ge­lung durch­zu­set­zen. So gesche­hen wäh­rend der Jubi­lä­ums­fei­er­lich­kei­ten der diplo­ma­ti­schen Bezie­hun­gen Frank­reichs ​mit Chi­na im Jahr 2024. Dort such­ten die ­Besu­che­rin­nen und Besu­cher in den Begleit­aus­stel­lun­gen im Musée du quai Bran­ly und ​im Gui­met Muse­um die Bezeich­nung Tibet ­ver­ge­bens. Repres­sio­nen gibt es auch in der Schweiz. Im Febru­ar hat der Bun­des­rat einen Bericht ver­ab­schie­det, in dem er die trans­na­tio­na­le Repres­si­on Chi­nas auf in der Schweiz leben­de tibe­ti­sche und uigu­ri­sche Men­schen festhält.

Hohes Anse­hen

Der Dalai Lama geniesst im Westen wei­ter­hin hohes Anse­hen. Tritt er auf, wol­len ihn vie­le Men­schen sehen und hören. Ver­gan­ge­nes Jahr war das Hal­len­sta­di­on bei sei­nem Auf­tritt in Zürich aus­ver­kauft. Sei­ne Leh­re der gei­sti­gen Wei­ter­bil­dung trifft den Geschmack vie­ler Men­schen, ver­mut­lich auch des­we­gen, weil er sie nicht reli­gi­ös ver­stan­den wis­sen will, son­dern als wis­sen­schaft­lich begrün­de­te Tat­sa­chen. Vor zwei Jah­ren wur­de dem Dalai Lama vor­ge­wor­fen, sich sexu­ell über­grif­fig ver­hal­ten zu haben. In den Sozia­len Medi­en mach­te ein Video die Run­de, das den Dalai Lama mit her­aus­ge­streck­ter Zun­ge zeig­te. Er habe ein Kind auf­ge­for­dert, sei­ne Zun­ge zu lut­schen. Der Shits­torm folg­te umge­hend. Das geist­li­che Ober­haupt ent­schul­dig­te sich sofort, und Kul­tur­ver­mitt­ler erklär­ten den Faux­pas mit kul­tu­rel­len Gepflo­gen­hei­ten. Aus­ser­dem wur­de ver­mu­tet, die Ver­brei­tung des Vide­os sei eine Kam­pa­gne des chi­ne­si­schen Staats, um den Dalai Lama zu kom­pro­mit­tie­ren. Erstaun­li­cher­wei­se hat das Ereig­nis dem Image des Dalai Lama kaum geschadet.

Dalai Lama-Wein

Übri­gens gibt es noch eine Ver­bin­dung zwi­schen dem Dalai Lama und der Schweiz: Ihm gehört ein Reb­berg im Wal­lis, aus des­sen Trau­ben jähr­lich ein Frie­dens­wein gekel­tert wird. Die rund 20 000 Fran­ken Gewinn kom­men huma­ni­tä­ren Pro­jek­ten zugu­te. Der Vor­be­sit­zer, Abbé Pierre, der spä­ter sein Renom­mee als Men­schen­freund nach Vor­wür­fen sexu­el­ler Über­grif­fe ver­lor, hat­te ihn dem bud­dhi­sti­schen Ober­haupt 1999 geschenkt, weil er selbst strikt gegen den Kon­sum von Alko­hol war. Der Dalai Lama lebt zwar eben­falls absti­nent, sieht den Ver­kauf des Wei­nes aber prag­ma­ti­scher als sein Vor­be­sit­zer: Wenn mit dem Ver­kauf Gutes unter­stützt wer­de, gehe das in Ordnung.

Eva Meienberg
mehr zum Autor
nach
soben