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Der Dalai Lama und die Schweiz
Seine Friedensbotschaft hat nicht immer Konjunktur
Die grösste tibetische Exilgemeinschaft lebt in der Schweiz. Pfannenfabrikanten aus dem Zürcherischen Rikon sind dafür verantwortlich. Mit dem Segen des Dalai Lamas liessen sie ein Tibetisches Kloster bauen und setzten den Grundstein für eine andauernde Beziehung zum geistlichen tibetischen Oberhaupt. Die Regisseurin Barbara Miller und der Fotograf Manuel Bauer aus der Schweiz haben mit und über den Dalai Lama einen Film gemacht.
Tenzin Gyatso, besser bekannt als Seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama, ist mit der Schweiz auf besondere Weise verbunden. Denn auf Initiative des Schweizerischen Roten Kreuzes war die Schweiz 1961 das erste europäische Land, das Flüchtende aus Tibet aufnahm. Chinas Volksbefreiungsarmee hatte 1950 das tibetische Hochgebirgsland besetzt, worauf der Dalai Lama mit seinen Gefolgsleuten 1959 nach Dharamsala ins indische Exil floh. Tausende Tibeterinnen und Tibeter folgten ihm und flüchteten von dort in andere Länder. Bis heute leben in der Schweiz rund 8000 Tibeterinnen und Tibeter und bilden die grösste tibetische Exilgemeinschaft in Europa.
Zivilgesellschaftliches Engagement
Die Pfannenfabrikanten Henri und Jacques Kuhn aus Rikon im Kanton Zürich stellten ab 1964 Arbeitsplätze und Firmenwohnungen für Geflüchtete zur Verfügung. Auf Anraten des Dalai Lama reisten 1967 tibetische Mönche nach Rikon, um den Geflüchteten in der Ferne auch ein religiöses Zuhause zu bieten. Mit dem Segen des Dalai Lama bauten die Gebrüder Kuhn das Klösterliche Tibet-Institut, das einzige tibetisch-buddhistische Kloster ausserhalb Asiens. An dessen Eröffnungsfeier im Jahr 1968 durfte der Dalai Lama selbst allerdings nicht teilnehmen. Sein Gesuch, die Schweiz zu besuchen, wurde abschlägig beantwortet. Die offizielle Schweiz stand damals für ihr Engagement für die tibetischen Geflüchteten unter Druck der chinesischen Regierung.
Filmtipp: «Wisdom of Happiness»
Eine persönliche Lehrstunde mit dem Dalai Lama
2019 hatten die Schweizer Regisseurin Barbara Miller («Female Pleasure») und der Fotograf Manuel Bauer die Gelegenheit, den damals 84-jährigen Dalai Lama zu interviewen. Der Film, der auf diesem Interview basiert, ist eine Lehrstunde: Der Dalai Lama gibt darin spirituelle und lebenspraktische Anweisungen, vermittelt Atemtechniken und erklärt den Unterschied zwischen Erscheinung und Wirklichkeit, zwischen konstruktiven und destruktiven Emotionen. Seine Anweisungen sind einfach umsetzbar und leuchten ein. «Eine friedliche Gesellschaft kommt nicht durch Zwang, sondern durch Eigeninitiative – du kannst einen Beitrag leisten», sagt der Dalai Lama direkt in die Kamera. So fühlen sich die Zuschauenden persönlich angesprochen. Die Ausführungen des Lehrers sind hinterlegt mit Naturaufnahmen und Satellitenbildern vom blauen Planeten. Das wirkt manchmal etwas gar monumental und steht in starkem Kontrast zur Einfachheit des Mönchs. Interessant aber sind die Archivaufnahmen, die Bilder aus der Kindheit des Dalai Lama zeigen oder seine Flucht nach Indien. Der Film lässt die Zuschauenden hoffnungsvoll zurück. Denn der Dalai Lama spricht uns persönlich an und ermächtigt jeden einzelnen, seinen Teil zu einer friedlichen Welt beizutragen. (eme)
Den Film können Sie auf der Streaming-Plattform cinefile.ch streamen.

Mehr oder weniger willkommen
Der Dalai Lama besuchte die Schweiz rund 20-mal. Zum ersten Mal im Jahr 1973. Aber erst 1991 empfing René Felber als Mitglied des Bundesrats den Dalai Lama offiziell. Dem Treffen vorangegangen war das Massaker von Tian’anmen am 4. Juni 1989, bei dem das chinesische Militär hunderte Menschen, die für Demokratie protestierten, tötete. Im gleichen Jahr erhielt der Dalai Lama den Friedensnobelpreis für seine Friedensbemühungen gegenüber der chinesischen Regierung. Danach war der Bundesrat bis auf wenige Ausnahmen wieder zurückhaltend mit offiziellen Empfängen des Dalai Lama, um seine diplomatischen Beziehungen mit China nicht zu strapazieren.
Kulturelles Erbe in Gefahr
Aktuell gibt die Aufhebung des Studienganges «Zentralasiatische Kulturwissenschaft» an der Universität Bern zu reden. Damit gehe die Möglichkeit verloren, tibetische Sprache und Geschichte an einer Schweizer Universität zu studieren, kritisiert die International Association for Tibetan Studies in ihrem Brief an die Uni Bern. Das ist umso bedenklicher, als dass damit dem chinesischen Staat in die Hände gespielt wird, der versucht, das kulturelle Erbe der Tibeterinnen und Tibeter auszulöschen. Etwa in dem er seit 2023 Tibet offiziell Xizang nennt. Auch im Ausland versucht der chinesische Staat die Sprachregelung durchzusetzen. So geschehen während der Jubiläumsfeierlichkeiten der diplomatischen Beziehungen Frankreichs mit China im Jahr 2024. Dort suchten die Besucherinnen und Besucher in den Begleitausstellungen im Musée du quai Branly und im Guimet Museum die Bezeichnung Tibet vergebens. Repressionen gibt es auch in der Schweiz. Im Februar hat der Bundesrat einen Bericht verabschiedet, in dem er die transnationale Repression Chinas auf in der Schweiz lebende tibetische und uigurische Menschen festhält.
Hohes Ansehen
Der Dalai Lama geniesst im Westen weiterhin hohes Ansehen. Tritt er auf, wollen ihn viele Menschen sehen und hören. Vergangenes Jahr war das Hallenstadion bei seinem Auftritt in Zürich ausverkauft. Seine Lehre der geistigen Weiterbildung trifft den Geschmack vieler Menschen, vermutlich auch deswegen, weil er sie nicht religiös verstanden wissen will, sondern als wissenschaftlich begründete Tatsachen. Vor zwei Jahren wurde dem Dalai Lama vorgeworfen, sich sexuell übergriffig verhalten zu haben. In den Sozialen Medien machte ein Video die Runde, das den Dalai Lama mit herausgestreckter Zunge zeigte. Er habe ein Kind aufgefordert, seine Zunge zu lutschen. Der Shitstorm folgte umgehend. Das geistliche Oberhaupt entschuldigte sich sofort, und Kulturvermittler erklärten den Fauxpas mit kulturellen Gepflogenheiten. Ausserdem wurde vermutet, die Verbreitung des Videos sei eine Kampagne des chinesischen Staats, um den Dalai Lama zu kompromittieren. Erstaunlicherweise hat das Ereignis dem Image des Dalai Lama kaum geschadet.
Dalai Lama-Wein
Übrigens gibt es noch eine Verbindung zwischen dem Dalai Lama und der Schweiz: Ihm gehört ein Rebberg im Wallis, aus dessen Trauben jährlich ein Friedenswein gekeltert wird. Die rund 20 000 Franken Gewinn kommen humanitären Projekten zugute. Der Vorbesitzer, Abbé Pierre, der später sein Renommee als Menschenfreund nach Vorwürfen sexueller Übergriffe verlor, hatte ihn dem buddhistischen Oberhaupt 1999 geschenkt, weil er selbst strikt gegen den Konsum von Alkohol war. Der Dalai Lama lebt zwar ebenfalls abstinent, sieht den Verkauf des Weines aber pragmatischer als sein Vorbesitzer: Wenn mit dem Verkauf Gutes unterstützt werde, gehe das in Ordnung.