Der «Briefkasten Gottes» feiert Geburtstag
Am Sonntag, den 21. August 2016, feiern die Ennetbadener den 50. Geburtstag ihrer Kirche: Ein architektonisches Meisterwerk, erschaffen im Aufwind des Zweiten Vatikanums. Aktuell stellen allerdings leere Kirchenbänke und fehlendes Seelsorgepersonal die Festgemeinde vor grosse Herausforderungen.«Wir sind bestrebt, unser Angebot an Gottesdiensten und Pfarrei-Anlässen aufrecht zu erhalten», kommentiert Pfarreisekretärin Monika Egloff einen im Gemeindeblatt vom Juni 2016 erschienen Artikel, der für die Kirche St. Michael auch die Umnutzung und (Teil-)Profanisierung zum Thema macht. Denn, so die Ennetbadener Post: Das Angebot an Gottesdiensten sei auf ein Minimum zusammengeschrumpft, das Angebot der Kirche werde gerade noch für Taufen, Erstkommunion und Beerdigungen in Anspruch genommen, weshalb sich Ende April dieses Jahres etwa ein Dutzend Pfarreiangehörige getroffen hätten, um über die Zukunft Ihrer Pfarrei nachzudenken.
Profanisierung wurde diskutiert
«Unsere Gemeinde hat sich verändert», räumt Renata Wetzel ein. «Es ist schwierig geworden, junge Familien bei der Stange zu halten», erklärt die engagierte Hilfssakristanin, Lektorin und Präsidentin des Kirchenchors. Zum Stichwort Profanisierung sagt sie: «Für Lesungen und Vorträge, warum nicht? Aber die Kirche ist für mich immer noch ein heiliger Ort. Mit der Umwandlung in einen Tanzsaal oder eine Karateschule, damit hätte ich schon sehr Mühe.»Das Thema Profanisierung sei ohnehin sehr weit hinaus gedacht und erst in 10 bis 15 Jahren ein Thema, ist Beatrice Eglin überzeugt. Dann könne es aber gut sein, dass die Ennetbadener Kirche vermehrt als Konzertsaal genutzt werde, so die Präsidentin der Kirchenpflege Baden-Ennetbaden. Beatrice Eglin glaubt jedoch, dass mit der Errichtung des Pastoralraums Aargauer Limmattal ein regelmässiges Gottesdienstangebot aufrecht erhalten werden kann.
Wichtiger Schritt zur Eigenständigkeit
Es wäre nicht die erste Herausforderung, welche die Ennetbadener rund um ihre Kirche zu meistern hätten. Schon die Planungs- und Baugeschichte, an dessen Ende schliesslich am 14. August 1966 im Beisein von Bischof Franziskus von Streng ein dreistündiger Weihegottesdienst stand, gestaltete sich schwierig. Renata Wetzel, 67-jährig, in Ennetbaden aufgewachsen und seit 50 Jahren im Kirchenchor aktiv, erinnert sich: Seit den 1930er Jahren wurde in Ennetbaden Geld für einen Kirchenneubau gesammelt. Dieser sollte die alte Kapelle ersetzen, doch mochte man sich nicht auf einen Standort einigen.«Wo kommt sie hin? Was ist der beste Platz? Das war ein Riesenstreit», erklärt Renata Wetzel. Entscheidend sei aber gewesen, «dass es gelang und wir eine eigenständige Pfarrei mit einem eigenen Pfarrer wurden.» In den kommenden Jahren, so Renata Wetzel, sei es dann darum gegangen, für die Frauen den Platz in der Kirche zu erkämpfen. «Es gab lange Zeit ein starkes konservatives Lager. Für die war nur die traditionelle Euchariste-Feier etwas wert.» Entsprechend brauchte es Zeit, bis Frauen sich als Lektorinnen einbringen und Mädchen ministrieren konnten. Dass Ennetbaden mit Silvia Guerra von 1998 bis 2010 endlich eine Pastoralassistentin bekam, erfüllt Renata Wetzel noch heute mit grosser Genugtuung.
Vom Basler Stararchitekten Hermann Baur erbaut…
Am heuten Standort, dem Holdener-Platz, gab es beim Bau auch topografische Herausforderungen, die das Bauvorhaben verzögerten und verteuerten. Dass als Siegerprojekt der Vorschlag des schweizweit bekannten modernen Sakralarchitekten Hermann Baur reüssierte, sorgte ebenfalls für Diskussionen, doch die Verantwortlichen in Baukommission und Kirchenpflege – allen voran der Zuger Kirchenarchitekt Hanns A. Brütsch (u. a. Erbauer der Kirchen in Suhr und Buchs) – vermochten für das Projekt bei den Leuten mit viel Fingerspitzengefühl Begeisterung zu wecken.Historisch kühn provozierte der kubische Betonbau mit seiner besonderen Lichtführung im Inneren die Gemüter: «Obstharasse» oder «Briefkasten Gottes» — Die Ennetbadener zeigten sich mit Übernamen überaus findig, schlossen aber gleichwohl ihre neue Kirche alsbald ins Herz. Wohl im Wissen darum, dass sie «architektonisch einzigartig und lebhaft» daherkam, wie es Hanns A. Brütsch beschrieb.
…und vom umstrittenen Maler Ferdinand Gehr geschmückt
Auch bei der Gestaltung des Inneren liessen sich die Ennetbadener vom modernen Zeitgeist des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 — 1965) leiten. Augenfällig wird dies beispielsweise anhand des von Ferdinand Gehr gestalteten Wandteppichs, der Jakobsleiter. Noch in den 1950er Jahren provozierte die Gestaltung eines Altarbildes durch Ferdinand Gehr in Wettingen die Weigerung des damaligen Bischofs (übrigens ebenfalls Franziskus von Streng), die dortige Kirche zu weihen, weshalb das Werk übermalt werden musste. In den 1960er Jahren hatte das Zweite Vatikanum den unversöhnlichen Kampf der katholischen Kirche gegen die Moderne jedoch beendet, weshalb Ferndiand Gehrs Kunst in Ennetbaden willkommen war.
Festprogramm mit Bischof Felix
Am 21. August 2016 wird Bischof Felix Gmür um 10 Uhr den Festgottesdienst halten und bestimmt mit einem Lächeln an jene Zeiten zurückdenken, an denen Geistliche mit gewissen Kirchenbauten auf regelrechtem Kriegsfuss standen. Die wechselvolle Geschichte der Kirche St. Michael und deren kunsthistorische Bedeutung wird in einem Vortrag von Johannes M. W. Kepser um 15 Uhr beleuchtet. Ein Jazzkonzert um 16 Uhr rundet die Feierlichkeiten ab.