Der barmherzige Papst und die arme Kirche

Der barmherzige Papst und die arme Kirche

Vor drei Jahren wurde er zum Papst gewählt, seit­dem hat Franziskus eine Menge bewegt. Aber wo ste­ht die katholis­che Kirche heute wirk­lich unter der Führung des charis­ma­tis­chen Mannes «vom Ende der Welt», wie er sagt?Durch­schnit­tlich regierte ein Papst in den ver­gan­genen 2000 Jahren 7 Jahre und 5 Monate. Wenn Franziskus am Son­ntag also den drit­ten Jahrestag sein­er Wahl bege­ht, hat er rein sta­tis­tisch gese­hen beina­he die Hälfte seines Pon­tif­ikats schon hin­ter sich. Zeit also für eine erste Hal­bzeit­bi­lanz.

Enorm hohe Erwartungen

Die Erwartun­gen, die Franziskus schon bald nach sein­er Wahl weck­te, waren enorm. Seine uner­müdlich vor­ge­tra­gene Forderung nach mehr Barmherzigkeit, etwa im Umgang mit wiederver­heirateten Geschiede­nen oder Homo­sex­uellen, liess viele Katho­liken auf Verän­derun­gen der kirch­lichen Ehe- und Sex­ual­moral hof­fen. Doch sie wur­den bis­lang ent­täuscht. Konkrete Änderun­gen blieben bis heute aus.Sein uner­müdlich­es Drin­gen auf Barmherzigkeit, sein Blick auf den konkreten Einzelfall, haben jedoch dur­chaus Früchte getra­gen: Der Papst hat ein Umdenken in der katholis­chen Kirche angestossen. Die bei­den Bischof­ssyn­oden über Ehe und Fam­i­lie ver­ab­schiede­ten sich vom moralis­chen Zeigefin­ger zugun­sten der helfend­en Hand. Nicht mehr verurteilen, son­dern begleit­en, lautet nun die Devise. Seel­sorge kommt vor dem Dog­ma. Das ist Franziskus pur.Was die Bischof­ssyn­oden auch gezeigt haben: Franziskus hat eine neue Diskus­sion­skul­tur etabliert: Nie zuvor wurde so offen und freimütig über strit­tige Fra­gen der Ehe- und Sex­ual­moral debat­tiert.

«Arme Kirche für die Armen»

Spür­bar ärmer gewor­den ist die katholis­che Kirche in den ver­gan­genen drei Jahren nicht. Doch der Papst, der weit­er­hin im vatikanis­chen Gäste­haus wohnt und einen Ford Focus fährt, hat Mer­cedes-Fahrer und Rolex-Uhren-Träger unter den kirch­lichen Amt­strägern gehörig unter Druck geset­zt. Wie nie zuvor müssen sich Bis­chöfe und Priester vor der Öffentlichkeit für alles recht­fer­ti­gen, was den Anschein von Luxus erweckt.Auf der welt­poli­tis­chen Bühne spielt der Vatikan unter Franziskus als «Glob­al Play­er» wieder eine grössere Rolle. Der spek­takulärste Erfolg war zweifel­los die Ver­mit­tlung der his­torischen Annäherung zwis­chen Kuba und den USA. Die mächti­gen Staat­slenker der Welt suchen das Gespräch mit dem Papst aus Südameri­ka: von Barack Oba­ma bis zu Wladimir Putin. Wie kein Papst zuvor hat sich Franziskus zudem für inter­na­tionale Abkom­men zu Umwelt- und Kli­maschutz einge­set­zt.

Anspruchsvolle interne Reform

Ausser­dem hat sich Franziskus mit der Reform der römis­chen Kurie ein Mam­mut­pro­jekt vorgenom­men, dessen Ende noch nicht abse­hbar ist. Ob es ihm gelingt, den schw­er­fäl­li­gen Ver­wal­tungsap­pa­rat und das mitunter als selb­s­ther­rlich wahrgenommene Auftreten der Kurie gegenüber den Ort­skirchen nach­haltig zu verän­dern, muss sich zeigen. Sicht­barstes Zeichen für eine Reform ist bish­er der Rat aus neun Kardinälen aller Erdteile, die ihn beim Umbau des Ver­wal­tungsap­pa­rates und der Leitung der Weltkirche berat­en.Wie gross der Wider­stand ist, mit dem er im Vatikan und in der Weltkirche kon­fron­tiert ist, lässt sich schw­er abschätzen. Vieles spricht aber dafür, dass der ital­ienis­che Kirchen­his­torik­er Andrea Ric­car­di nicht ganz falsch liegt mit sein­er Ein­schätzung. Dem­nach hat­te kein Papst in den ver­gan­genen hun­dert Jahren mit einem grösseren innerkirch­lichen Wider­stand zu kämpfen.

Schon mehr als Halbzeit?

Allzu viel Zeit bleibt dem 79-jähri­gen Argen­tinier nicht mehr, um der Kirche seinen Stem­pel aufzu­drück­en — zumin­d­est nach eigen­er Ein­schätzung. Zwei Jahre nach sein­er Wahl wurde Franziskus gefragt, wie lange seine Amt­szeit wohl dauern werde. Seine Antwort: «Ich habe das Gefühl, dass mein Pon­tif­ikat kurz sein wird. Vier oder fünf Jahre.»
Anne Burgmer
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