Demut ist der Mut eines Aussteigers

Demut ist der Mut eines Aussteigers

Mat­thä­us 19,16.20B–22Und sie­he, da kam ein Mann zu Jesus und frag­te: Mei­ster, was muss ich Gutes tun, um das ewi­ge Leben zu gewin­nen? … Alle … ­Gebo­te habe ich befolgt. Was fehlt mir noch? ­Jesus ant­wor­te­te ihm: Wenn du voll­kom­men sein willst, geh, ver­kauf dei­nen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz im Him­mel haben; und komm, fol­ge mir nach. Als der jun­ge Mann das hör­te, ging er trau­rig weg; denn er hat­te ein gros­ses Vermögen.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Demut ist der Mut eines Aussteigers

«Ich sah alle Schlin­gen des bösen Fein­des über die Erde aus­ge­brei­tet. Da seufz­te ich und sag­te: Wer kann ihnen ent­ge­hen? Da hör­te ich eine Stim­me, die sag­te zu mir: die Demut.»Die Dia­gno­se möch­ten wir wohl tei­len, die The­ra­pie hin­ge­gen erstaunt. Die Visi­on des hl. Anto­ni­us ist oft in der Kunst (lust- und fan­ta­sie­voll) dar­ge­stellt wor­den als Ver­su­chung durch alle Kräf­te des Bösen. Anto­ni­us aber erliegt ihr nicht, wehrt sich aber auch nicht. Er lässt sich nicht stö­ren in sei­ner Medi­ta­ti­on. Was die Bil­der meist ver­schwei­gen: Anto­ni­us sah nicht nur sein eige­nes Leben in Bedräng­nis. Viel­mehr nahm er die Kräf­te des Bösen als glo­ba­le Erschei­nung wahr.Zu sei­ner Zeit war das Chri­sten­tum im gros­sen Auf­bruch. Es hat­te sich von einer ver­folg­ten Sek­te im Unter­grund der römi­schen Gesell­schaft zur offi­zi­el­len Staatsreli­gion gewan­delt. Erst­mals nahm die Kir­che teil an der Macht und ver­brei­te­te sich über das gan­ze römi­sche Reich. Damit waren all die Ver­su­chun­gen ver­bun­den, die die Macht stets beglei­ten: Stolz, Reich­tum an Besitz und Bezie­hun­gen, der Hang zur Selbst­dar­stel­lung, Auf­bau von kirch­li­chen Insti­tu­tio­nen, die von Die­nern zu Her­ren wur­den. Wie kann eine Kir­che, die plötz­lich gross und ein­fluss­reich wird, den Ver­su­chun­gen der Macht ent­kom­men? Die Stim­me der Visi­on rät drin­gend zur Demut.Wir stim­men zu: Die Geschich­te der Kir­che ist nicht geprägt durch Selbst­be­gren­zung und Beschei­den­heit, auch wenn immer wie­der kri­ti­sche Licht­ge­stal­ten zu Demut, zur Armut und zur Bin­dung an das Evan­ge­li­um auf­rie­fen. Die­se unbe­que­men Pro­phe­ten inner­halb der Kir­che hat­ten viel­fach das glei­che Schick­sal wie die Pro­phe­ten des Alten Testa­ments: Die mei­sten wur­den umge­bracht, eini­ge wur­den hei­lig­ge­spro­chen. Anto­ni­us hat in der Ver­bor­gen­heit sei­ner Ein­sied­ler­ge­mein­schaft über­lebt. Sei­ne mah­nen­de Stim­me ist nicht ver­stummt, sie klingt bis heu­te wei­ter in den Men­schen, die inner­halb und aus­ser­halb der Kir­che zur Demut auf­ru­fen.Aber kön­nen demü­ti­ge Men­schen die Welt ver­än­dern? Kön­nen sie auf­kom­men gegen die Hoch­mü­ti­gen, die laut und gewalt­tä­tig daher­kom­men und vor allem sich selbst gross­ar­tig fin­den? Wir nei­gen wohl dazu, in einer gewis­sen Wut Wider­stand zu orga­ni­sie­ren und den Mäch­ti­gen zu zei­gen, dass sie nicht allein das Sagen haben. Dafür aber müs­sen wir uns auf­plu­stern, also uns so gross wie mög­lich zei­gen. Die Demü­ti­ge hin­ge­gen lässt sich nicht zum Aktio­nis­mus ver­füh­ren und ant­wor­tet nicht mit den Waf­fen der Kon­kur­renz. Sie ist beharr­lich in der Hoff­nung, denn sie weiss, dass alle Macht der Welt zer­bricht. Viel­leicht macht sie manch­mal einen zöger­li­chen oder unmu­ti­gen Ein­druck. Das kommt daher, dass sie nicht jeden Geg­ner ernst und jeden Feh­de­hand­schuh auf­nimmt.Es mag sein, dass heu­te Laut­stär­ke und Medi­en­prä­senz zäh­len und hin­ter all die­sem die Finanz­kraft. Ich ver­ste­he den Rat der Visi­on des Anto­ni­us als Auf­ruf zur Ver­wei­ge­rung. Sich nicht zu ver­brau­chen im Wett­ren­nen um Kar­rie­re und Aner­ken­nung, statt­des­sen mit Stand­haf­tig­keit und Ehr­lich­keit eine Alter­na­ti­ve zu leben, das scheint mir ein guter Rat. Dass sol­che Ver­wei­ge­rung Mut braucht, zeigt die Reak­ti­on des jun­gen Man­nes, dem Jesus rät, aus­zu­stei­gen und ein Leben zu füh­ren, das auf die Got­tes­nä­he baut. Was hal­ten Sie, lie­be Lese­rin, lie­ber Leser, von Demut?Lud­wig Hes­se, Theo­lo­ge, Autor und Teil­zeit­schrei­ner, war bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung Spi­tal­seel­sor­ger im Kan­ton Baselland
Redaktion Lichtblick
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