Dem Näch­sten hel­fen oder die Not der Welt lindern?

Dem Näch­sten hel­fen oder die Not der Welt lindern?

Lukas 10,30–36Ein Jurist aber woll­te genau wis­sen, was Jesus mein­te, wenn er von Näch­sten­lie­be sprach und frag­te: «Wer genau ist nun mein Nächster?»Dar­auf ant­wor­te­te ihm Jesus: Ein Mann ging von Jeru­sa­lem nach Jeri­cho hin­ab und wur­de von Räu­bern über­fal­len. Sie plün­der­ten ihn aus und schlu­gen ihn nie­der; dann gin­gen sie weg und lies­sen ihn halb­tot lie­gen. Zufäl­lig kam ein Prie­ster den­sel­ben Weg her­ab; er sah ihn und ging vor­über. Eben­so kam auch ein Levit kam zu der Stel­le; er sah ihn und ging vor­über. Ein Sama­ri­ter aber, der auf der Rei­se war, kam zu ihm; er sah ihn und hat­te Mit­leid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf sei­ne Wun­den und ver­band sie. Dann hob er ihn auf sein eige­nes Reit­tier, brach­te ihn zu einer Her­ber­ge und sorg­te für ihn. Und am näch­sten Tag hol­te er zwei Dena­re her­vor, gab sie dem Wirt und sag­te: Sor­ge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, wer­de ich es dir bezah­len, wenn ich wiederkomme.Neue Ein­heits­über­set­zung 

Dem Näch­sten hel­fen oder die Not der Welt lindern?

Wenn man Geset­ze machen muss, dann muss man immer abgren­zen: Wer genau hat nun ein Anrecht auf Asyl bei uns? Wer genau hat Anspruch auf Sozi­al­hil­fe? Wer genau hat wie lan­ge Recht auf Arbeits­lo­sen­un­ter­stüt­zung? Und jedes Mal ist es hart, die­se Gren­zen zu zie­hen, weil damit stets Grenz­fäl­le pro­du­ziert wer­den, die grad aus­ge­schlos­sen wer­den. Aber Geset­ze sind wich­tig, und die juri­sti­sche Fest­le­gung ist not­wen­dig.Etwas ande­res scheint es zu sein, die Erfor­der­nis­se einer kon­kre­ten Not vor der eige­nen Tür zu erken­nen. Dann braucht es nicht die strik­te Anwen­dung der Geset­ze, son­dern das Gebot der Mensch­lich­keit. Eine Not­la­ge wis­sent­lich zu über­se­hen, nur, weil man kei­nen amt­li­chen Auf­trag als Sozi­al­ar­bei­ter hat, ist schlicht igno­rant. Man kann doch nicht in Ruhe schla­fen, wenn ande­re vor der Haus­tür ver­hun­gern, und ich mei­ne damit nicht nur den Nah­rungs­hun­ger, son­dern eben­so sehr den Hun­ger nach Obdach, Sicher­heit, Aus­bil­dung, sozia­ler Ein­bin­dung.Wer sich enga­giert, erfüllt die christ­li­che Erwar­tung der Näch­sten­lie­be, weil er oder sie den not­lei­den­den Mit­men­schen als Kind Got­tes begreift, als Schwe­ster und Bru­der Jesu. Aber die gros­sen Pro­ble­me wer­den natür­lich so nicht gelöst, denn etwas wei­ter weg wird wei­ter­ge­hun­gert, aus­ge­beu­tet und ver­folgt. Dafür braucht es das gros­se Nach­den­ken, die Poli­tik und die Spe­zia­li­sten für Rechts­fra­gen. Fehlt die Grup­pe der Hil­fe­lei­sten­den am Ort, so geht bei uns die Kul­tur der Mensch­lich­keit ver­lo­ren, fehlt die Poli­tik mit ihren abgren­zen­den Über­le­gun­gen, dann bricht das Cha­os aus. Bei­de Ebe­nen wer­den ger­ne gegen­ein­an­der aus­ge­spielt. Sich im Ses­sel zurück­leh­nen und sagen «Die Poli­ti­ker sol­len doch end­lich …» ist eben­so ver­fehlt wie zu mei­nen, mit gutem Wil­len allein kön­ne man alle Pro­ble­me bewäl­ti­gen.Einer, der bei­de Ebe­nen für sich zusam­men­brin­gen konn­te, war Car­lo Steeb. Ihm ist es gelun­gen, gleich­zei­tig hoch­re­flek­tiert über Näch­sten­lie­be zu reden und in direk­ter Zuwen­dung zum lei­den­den Mit­men­schen zu han­deln. Das recht­fer­tigt sehr, sich in die­ser Woche an ihn zu erin­nern und sei­nem Bei­spiel zu fol­gen.Das Gleich­nis Jesu bringt zu die­ser Fra­ge noch einen wei­te­ren Aspekt zur Spra­che: Wer hilft, darf sich und sei­ne eige­nen Bedürf­nis­se dar­über nicht ver­ges­sen. Sonst führt die Näch­sten­lie­be direkt in die Über­for­de­rung und damit zum Zusam­men­bruch der Fähig­keit, ande­ren zu hel­fen. Auch hier ist Abgren­zung der Zeit und der Mit­tel nicht unso­zi­al, son­dern abso­lut not­wen­dig. Ich bin dem jüdi­schen Juri­sten also dank­bar und neh­me die Fra­ge für mich wie­der mit: «Wer ist wie lan­ge und in wel­chem Mass mein Mit­mensch, der mei­ne Unter­stüt­zung und Hil­fe bekom­men soll?» Und Car­lo Steeb bin ich dank­bar, weil er mir gezeigt hat, dass man Span­nun­gen zwar aus­hal­ten muss, dabei aber durch­aus tätig sein darf.Lud­wig Hes­se, Theo­lo­ge, Autor und Teil­zeit­schrei­ner, bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung Spi­tal­seel­sor­ger im Kan­ton Baselland
Redaktion Lichtblick
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