Dem Nach­fol­ger sei­nen Segen geben

Eine funk­tio­nie­ren­de Pfarr­ge­mein­de auf­zu­bau­en und sie leben­dig zu erhal­ten for­dert lan­ge Jah­re der Arbeit. Es ist also ver­nünf­tig, dass Seel­sor­ger län­ge­re Zeit an einem Ort wir­ken. Doch auch Seel­sor­ger und Seel­sor­ge­rin­nen wech­seln ihre Stel­le. Das kann zur Zer­reiss­pro­be wer­den, wie die jüng­sten Vor­komm­nis­se in der Pfar­rei Bad Zurz­ach zeigen.In Sankt Vere­na Bad Zurz­ach bro­delt es. Genau­er in Mel­li­kon. Im Zusam­men­hang mit einem töd­li­chen Unfall kam es bei der Betreu­ung einer der Trau­er­fa­mi­li­en zu Miss­ver­ständ­nis­sen; eine ange­mes­se­ne per­sön­li­che Betreu­ung vor Ort blieb laut Aus­sa­gen Betei­lig­ter aus. Dar­auf­hin wur­de Urs Zim­mer­mann, ehe­ma­li­ge Seel­sor­ger der Pfarr­ge­mein­de ange­spro­chen und führ­te die Gedenk­fei­er durch. Dass er auf Anfra­gen durch Pfar­rei­mit­glie­der ab und zu lit­ur­gisch im Pfar­rei­en­ver­band tätig war, immer in Rück­spra­che mit dem der­zei­ti­gen Stel­len­in­ha­ber Rai­mund Obrist, war bis dahin Usus. In die­sem Fall ver­mit­tel­te ein Lek­tor, der mit der Trau­er­fa­mi­lie befreun­det ist, den Kon­takt. Rai­mund Obrist stell­te den Lek­tor dar­auf­hin von sei­nem Dienst frei; der Vor­wurf: Illoya­li­tät. Der Vor­fall, der in Leser­brie­fen und Bericht­erstat­tung in der Aar­gau­er Zei­tung mün­de­te, zeigt eine tief­ge­hen­de Her­aus­for­de­rung, die jede Pfarr­ge­mein­de frü­her oder spä­ter betrifft: Den Wech­sel von Seel­sor­ge­per­so­nal.Ver­schie­de­ne Faktoren Eine Pfarr­ge­mein­de ist eine hoch­kom­ple­xe Ange­le­gen­heit mit eige­ner Dyna­mik. Seel­sor­ger und Seel­sor­ge­rin­nen, die lan­ge an einem Ort Dienst lei­sten, haben oft­mals aus­ge­wie­se­ne Fans und eben­so deut­li­che Skep­ti­ker. Ori­en­tiert sich ein Seel­sor­ger neu, trau­ert ein Teil der Pfar­rei­mit­glie­der, ein ande­rer mag erleich­tert sein. Dem Schei­den­den geht es meist eben­so. Ob der Wech­sel zum Nach­fol­ger gelingt, hängt von ver­schie­de­nen Fak­to­ren ab.Zum Bei­spiel die räum­li­che Tren­nung: Bleibt der Seel­sor­ger am Ort oder in der Nähe? Gra­de bei Pasto­ral­as­si­sten­ten mit schul­pflich­ti­gen Kin­dern kann das pro­ble­ma­tisch sein.Oder lit­ur­gi­sche Tätig­kei­ten: Ver­sieht die «alte» Seel­sor­ge­rin nach wie vor lit­ur­gi­sche Dien­ste in der ehe­ma­li­gen Pfar­rei? Wenn ja, wie wer­den die Dien­ste mit dem Nach­fol­ger abge­spro­chen?Der wich­tig­ste Aspekt, so kri­stal­li­siert sich in Gesprä­chen her­aus, ist der Cha­rak­ter, die «per­sön­li­che Grös­se» sowohl des Vor­gän­gers als auch des Nach­fol­gers.Die Gesprächs­part­ner, Aar­gau­er Seel­sor­ger, die teil­wei­se nament­lich nicht genannt wer­den wol­len, wei­sen auf ein «unge­schrie­be­nes Gesetz» hin: Die Seel­sor­ge­per­sön­lich­keit soll­te ganz gehen und eine Zeit lang kei­nen Kon­takt in die ehe­ma­li­ge Pfar­rei haben. Die­se Funk­stil­le meint nicht, dass per­sön­li­che Freund­schaf­ten, die ent­stan­den sind, abge­bro­chen wer­den sol­len. Doch Freund­schaf­ten zu pfle­gen, um nach wie vor über Vor­gän­ge in der Pfar­rei auf dem Lau­fen­den zu sein, kann zum Pro­blem wer­den.Neu­tra­ler Boden Ein Per­so­nal­wech­sel, der einen guten Weg auf­zeigt, ging im Frei­amt in Muri über die Büh­ne. Rund zwölf Jah­re war Urs Else­ner Pfar­rer an Sankt Goar. Als klar wur­de, dass er die Stel­le wech­seln wird, hat­te er schon einen poten­ti­el­len Nach­fol­ger für sich im Kopf: Geor­ges Schwicke­rath. «Wir kann­ten uns, sind befreun­det, und er hat­te mich bereits in Muri besucht. Also habe ich ihn ange­spro­chen. Es ist sicher nicht die Regel, dass man sei­nen Nach­fol­ger kennt, doch in die­sem Fall ergab sich das sehr gut», erklärt Urs Else­ner, der in Schaff­hau­sen tätig ist. Geor­ges Schwicke­rath, der vor­her in Bern wirk­te, trat sei­nen Dienst in Sankt Goar im Sep­tem­ber 2013 an. «Natür­lich mache ich Din­ge anders, als Urs Else­ner. Allein schon des­halb, weil ich nicht nur für Sankt Goar zustän­dig bin, wie Urs Else­ner, son­dern für meh­re­re Pfar­rei­en, die zu einem Pasto­ral­raum zusam­men­ge­schlos­sen wer­den. Und man­ches, was ich anders mache, führt zu Dis­kus­sio­nen. Doch ich bemü­he mich jeweils zu erklä­ren, war­um ich etwas anders mache und neh­me Kri­tik nicht per­sön­lich», sagt Geor­ges Schwicke­rath. Danach gefragt, wie sie es mit dem Kon­takt zur jewei­li­gen «Ex-Pfar­rei» hal­ten, zeigt sich, dass sowohl Urs Else­ner als auch Geor­ges Schwicke­rath unter­schied­li­che Wege gehen. «Ich bin immer wie­der in Muri und besu­che Freun­de. Das Netz­werk in einem klei­nen Ort wie Muri ist anders geknüpft und das pfle­ge ich nach wie vor», meint Urs Else­ner. «Aller­dings infor­mie­re ich Geor­ges Schwicke­rath über mei­ne Anwe­sen­heit und tref­fe mich auch mit ihm im Pfarr­hof. Die­se Trans­pa­renz ist mir wich­tig. Lit­ur­gi­sche Dien­ste neh­me ich nicht wahr.» Geor­ges Schwicke­rath hin­ge­gen hat sich sel­ber eine fünf­jäh­ri­ge Frist gesetzt: «Ich gehe durch­aus nach Bern, doch besu­che ich dort kei­ne ehe­ma­li­gen Pfar­rei­an­ge­hö­ri­gen. Wenn ich mich mit Freun­den aus der Pfar­rei tref­fen möch­te, lade ich sie zu mir nach Muri ein oder wäh­le einen Ort auf neu­tra­lem Boden. Wenn Anfra­gen für Tau­fen oder Trau­un­gen kom­men, leh­ne ich die­se ab. Ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter woll­ten mir anfäng­lich erzäh­len, was in der Pfar­rei nach mei­nem Weg­gang pas­siert. Doch das woll­te ich nicht wis­sen. Mein Platz ist jetzt hier, und die Pfarr­ge­mein­de in Bern soll offen sein für mei­nen Nach­fol­ger».Bela­sten­de Spannungen Was auf­fällt: Kommt es in einer Pfar­rei zu Span­nun­gen und Ver­let­zun­gen rund um den Wech­sel einer Seel­sor­ge­per­sön­lich­keit, sind die­se schnell tief­ge­hend und betref­fen nicht sel­ten eine gros­se Grup­pe von Pfar­rei­an­ge­hö­ri­gen und Mit­ar­bei­ten­den. Und: Gra­de da, wo das direk­te Gespräch wich­tig wäre, fin­det es oft nicht statt oder wird im unglück­li­chen Fall in die Öffent­lich­keit getra­gen. Es ver­wun­dert nicht, dass mehr als ein Gesprächs­part­ner nur zurück­hal­tend Aus­kunft über eige­ne Erfah­run­gen gibt oder dar­um bit­tet, anonym blei­ben zu dür­fen. Als zu bela­stend wer­den gemach­te Erfah­run­gen ein­ge­stuft, selbst wenn sie schon lan­ge zurück­lie­gen. Die Nach­fra­ge beim Bis­tum, ob es Hand­rei­chun­gen und Hil­fe­stel­lun­gen für gelin­gen­de Per­so­nal­wech­sel im Sin­ne der Sor­ge um die eige­nen Mit­ar­bei­ter gibt, blieb bis zum Erschei­nen des Arti­kels unbe­ant­wor­tet.Die Pfarr­ge­mein­de, nicht die Person So wert­voll und wir­kungs­voll Seel­sor­ger und Seel­sor­ge­rin­nen in ihren Pfar­rei­en tätig sind und so viel auto­ma­tisch vom Cha­rak­ter und Cha­ris­ma eines Men­schen abhängt, es gibt einen grös­se­ren Zusam­men­hang. «Es kann nicht sein, dass ich eine Pfarr­ge­mein­de von mir als Per­son abhän­gig mache oder zu stark an mei­ne Per­son bin­de. Ich möch­te sie an Chri­stus bin­den», sagt Geor­ges Schwicke­rath. Er zieht ein Bei­spiel aus sei­nem Her­kunfts­land Luxem­burg her­an: «Dort war ein Prie­ster, der rund fünf­zig Jah­re in der­sel­ben Pfarr­ge­mein­de tätig war. Das war nicht gut für das Gemein­de­le­ben. Das schö­ne ist ja, dass wir nicht alle die­sel­ben sind. Kir­che soll die Chan­ce haben, sich zu ver­än­dern. Dar­an ist nichts schlim­mes, doch ich soll­te als Per­son bereit sein, von mir abzu­se­hen». Der Seel­sor­ger kann im Extrem­fall gehen. Die Men­schen, die in der Pfar­rei leben, haben dort ihre Hei­mat. Sie wol­len wei­ter­hin in die Kir­che gehen kön­nen, ohne das Gefühl zu haben, vor einem Scher­ben­hau­fen zu ste­hen. Wenn eine Gemein­de mit dem Seel­sor­ger steht oder fällt, ist das schlimm. Sowohl die Pfarr­ge­mein­de als auch die Seel­sor­ge­per­sön­lich­keit, muss los­las­sen kön­nen und dar­auf ver­trau­en, dass es wei­ter­geht; soll­te dar­auf ver­trau­en, dass Gott die Zukunft beglei­tet. Tho­mas Jen­el­ten, der sech­zehn Jah­re in Peter und Paul Aar­au als Seel­sor­ger tätig war und einen guten Weg­gang erleb­te, fin­det ein schö­nes Schluss­bild. Er schreibt: «Ich glau­be, ein Vor­gän­ger muss sei­nen Nach­fol­gern so etwas wie einen Segen mitgeben».
Anne Burgmer
mehr zum Autor
nach
soben