Dem Ewi­gen den Vor­tritt lassen

Dem Ewi­gen den Vor­tritt lassen

Mat­thä­us 1,20.24Wäh­rend er noch dar­über nach­dach­te, sie­he, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sag­te: Josef, Sohn Davids, fürch­te dich nicht, Maria als dei­ne Frau zu dir zu neh­men; denn das Kind, das sie erwar­tet, ist vom Hei­li­gen Geist … Als Josef erwach­te, tat er, was der Engel des Herrn ihm befoh­len hat­te, und nahm sei­ne Frau zu sich.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Dem Ewi­gen den Vor­tritt lassen

Ein Jahr lang hat­te ich Zeit, Josef anzu­schau­en, mir sein Gesicht ein­zu­prä­gen, dar­über zu rät­seln, was wohl in dem jun­gen Mann vor­geht, mei­nen Blick ruhen zu las­sen auf dem Paar, das sich fest in die Augen schaut, betrach­te­te ihre Hän­de, wie die Rech­te Mari­as auf sei­ner Lin­ken ruht. Das Bild, das vom 5. Janu­ar 2019 bis zum 7. Janu­ar 2020 bei uns in der Josefska­pel­le hing, ist trans­pa­rent und lau­ter. Zart und aus­drucks­stark ver­bin­det die Künst­le­rin Stel­la Radi­ca­ti das klas­si­sche Motiv der «Ver­mäh­lung der Jung­frau Maria» mit einer grund­sätz­li­chen, stets aktu­el­len The­ma­tik. Es geht um die Bezie­hung von Frau und Mann – ganz ohne Kind, vor­läu­fig.Erin­nern wir uns an den Anfang. Dort ist zwi­schen Adam und Eva etwas in die Brü­che gegan­gen. Als Gott den Adam zur Rede stell­te, schob die­ser die Schuld auf die Frau: «Die Frau, die du mir bei­gesellt hast, sie hat mir von dem Baum gege­ben, und so habe ich geges­sen» (Gene­sis 3,12). Seit­her geht ein Riss durch die vom Schöp­fer gewoll­te Ein­heit von Mann und Frau. Seit­her hat der Mann gegen­über der Frau etwas gut­zu­ma­chen. Nicht Adam ist Herr der Schöp­fung, son­dern der Ewi­ge, der den Men­schen als sein Abbild erschuf, «als Mann und Frau schuf er sie». Nur so kann alles «sehr gut» sein (Gene­sis 1,27.31).Unser Blick rich­tet sich auf Josef. Sein Gesicht sehen wir voll­stän­dig, obwohl er nicht uns, son­dern Maria anschaut, mit Ernst und Respekt. Er steht eine Stu­fe höher als sie, doch sein rech­ter Fuss deu­tet an, dass er bereit ist, ihr auf Augen­hö­he zu begeg­nen. Spür­bar ist ein labi­les Gleich­ge­wicht von Nähe und Distanz. Ob auch ero­ti­sches Begeh­ren mit­schwingt? Schwer zu sagen. Eher liegt ein Geheim­nis in der Luft, etwas Gros­ses, das die bei­den zutiefst ver­bin­det und doch ihre indi­vi­du­el­le Geschich­te, ihre gegen­sei­ti­ge Zunei­gung weit über­steigt, von dem sie nicht wis­sen, wohin es sie füh­ren wird.Sie ste­hen in Kon­takt mit­ein­an­der, sie berüh­ren sich. Josef hält Maria sei­ne Hand hin, ohne die Hand Mari­as zu ergrei­fen. Sie legt ihre Hand in die sei­ne, dar­auf ver­trau­end, dass er sie frei las­sen wird. Denn sie hat ihren einen eige­nen Weg zu gehen. Wie der Engel ihm aus­rich­te­te: «Fürch­te dich nicht: Nimm dei­ne Frau und lass sie frei!» Damit Maria ihr Ja sagen kann, muss auch Josef Ja sagen zu Got­tes uner­forsch­li­chem Rat­schluss.Bei Niklaus und Doro­thee von Flüe war es umge­kehrt. Doro­thee muss­te ler­nen, ihren Gat­ten los­zu­las­sen, ihn frei­zu­ge­ben für den Plan, den Gott mit ihrem Klaus vor­hat­te. Sie brauch­te zwei Jah­re, bis sie soweit war. Bei­de, Josef und Doro­thee, haben Gott den Vor­tritt gelas­sen. Als Schwei­gen­de sind sie wort­los in die Geschich­te ein­ge­gan­gen. Und haben uns gera­de dar­um unend­lich viel zu sagen.Abt Peter von Sury, Mariastein
Redaktion Lichtblick
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