Dem Dia­log ver­pflich­tet: Der airak

  • Am heu­ti­gen Natio­nal­fei­er­tag wer­den land­auf, land­ab ver­schie­de­ne Red­ne­rin­nen und Red­ner die Wich­tig­keit des Dia­logs beto­nen — ins­be­son­de­re auch mit Zuge­wan­der­ten, die eine ande­re Kul­tur mit­brin­gen und in einer ande­ren rel­giö­sen Tra­di­ti­on ver­wur­zelt sind. Der Aar­gau­er Inter­re­li­giö­se Arbeits­kreis (airak) pflegt die­sen Dia­log schon seit zehn Jahren.
  • Ein­mal pro Monat orga­ni­siert der airak in Baden und Aar­au inter­re­li­giö­se Stamm­ti­sche. An die­sen kom­men Men­schen unter­schied­li­cher Reli­gi­on zusam­men und tau­schen sich aus. Hori­zon­te war dabei.
 In der Bul­lin­ger­stu­be des refor­mier­ten Kirch­ge­mein­de­hau­ses in Baden gibt Béa­tri­ce Men­zi Hussain an einem April-Abend zum The­ma «Hei­li­ge Gär­ten – die Suche nach dem Para­dies» am Stamm­tisch einen Input. Unter den 22 Gesprächs­teil­neh­mern sind Refor­mier­te, Katho­li­ken, Ortho­do­xe und Mus­li­me. Die mei­sten ken­nen sich, ande­re sind heu­te erst­mals hier. Sie wis­sen: Neue Bekannt­schaf­ten knüp­fen in einer neu­en Umge­bung und über sei­nen Glau­ben reden – all das kann das Leben enorm berei­chern.

«Ein­an­der ken­nen ler­nen und Vor­ur­tei­le abbauen»

Mit am Tisch sitzt auch Urs Fischer, der heu­te das Vor­stands­mit­glied Muris Puric ver­tritt. Fischer, lang­jäh­ri­ger Abtei­lungs­lei­ter der Flücht­lings­hil­fe bei der Cari­tas, kennt sich aus in der Arbeit mit Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Er weiss um Miss­ver­ständ­nis­se zwi­schen Ange­hö­ri­gen ver­schie­de­ner Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten. Beim airak, so Urs Fischer, gehe es nicht dar­um, zu mis­sio­nie­ren, son­dern Vor­ur­tei­le abzu­bau­en «und ein­an­der ken­nen zu ler­nen und wert­zu­schät­zen.» Der airak wol­le mit sei­nen Stamm­ti­schen auf­zei­gen, «wie berei­chernd Begeg­nun­gen mit Men­schen mit ande­rem reli­giö­sen und kul­tu­rel­len Hin­ter­grund sind.»Durch ihre Arbeit mit Aus­län­dern erhal­ten die airak-Mit­glie­der einen tie­fen Ein­blick in das Schick­sal von Flücht­lin­gen im Kan­ton Aar­gau. Moni­ka Liauw geht aktu­ell der Fall von zwei tibe­ti­schen Frau­en beson­ders nahe. Die Frau­en, die bereits am Stamm­tisch dabei waren und seit drei Jah­ren in der Schweiz leben, sol­len aus­ge­wie­sen wer­den. Béa­tri­ce Men­zi Hussain wie­der­um enga­giert sich beim Pro­jekt «Co-Pilot» der Cari­tas Aar­gau, wobei sie Flücht­lin­ge mit B‑Status eini­ge Stun­den pro Monat ehren­amt­lich in ihrem All­tag beglei­tet. Aktu­ell eine jun­ge Frau aus Sri Lan­ka mit ihren zwei Söh­nen, die jetzt alle deutsch ler­nen.

«Ich will wis­sen, wie ande­re Reli­gio­nen ticken»

Seit neun Jah­ren fin­det in Aar­au an jedem 15. des Monats der inter­re­li­giö­se Stamm­tisch statt, seit 2010 an jedem 16. in Baden, orga­ni­siert vom inter­re­li­giö­sen Arbeits­kreis (airak). Das Ziel des Ver­ei­nes ist der Auf­bau und die Pfle­ge von Bezie­hun­gen zwi­schen Ange­hö­ri­gen ver­schie­de­ner Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten. Der airak ging aus dem 1987 gegrün­de­ten Öku­me­ni­schen Frie­dens­netz Aar­gau (OeF­NA) her­vor, das vor über 40 Jah­ren gegrün­det wur­de. Nach einer Frie­dens­nacht mit Betei­li­gung aller Lan­des­kir­chen, der ortho­do­xen Gemein­schaf­ten, der Bud­dhi­sten, Baha’i, Hin­dus und Mus­li­me im Jahr 1994 beschlos­sen die Akti­vi­sten, den Aar­gau­er Inter­re­li­giö­sen Arbeits­kreis zu grün­den. Ein Haupt­the­ma des neu­en Arbeits­krei­ses war, den inter­re­li­giö­sen Dia­log regel­mäs­sig anzu­re­gen und zu pfle­gen.Allen im Vor­stand des airak ist der Dia­log mit den Reli­gio­nen ein per­sön­li­ches Anlie­gen. So auch Vor­stands­mit­glied Béa­tri­ce Men­zi Hussain, die an fast jedem Stamm­tisch dabei ist. Ursprüng­lich katho­lisch auf­ge­wach­sen, lern­te sie mit 21 Jah­ren den Baha’i‑Glauben ken­nen und wur­de Mit­glied bei die­ser Glau­bens­ge­mein­schaft. Béa­tri­ce Men­zi Hussain, die das Sekre­ta­ri­at des airak lei­tet, sagt über ihr Motiv, sich hier zu enga­gie­ren: «In der Sekun­dar­schu­le hat­te ich eine jüdi­sche Mit­schü­le­rin und mei­ne dama­li­ge Freun­din war refor­miert. Schon damals woll­te ich wis­sen, wie ande­re Reli­gio­nen ticken.»

«Reli­gio­nen müs­sen Hand in Hand gehen»

Jedes Mal wird ein Gast ein­ge­la­den, über ein bestimm­tes reli­giö­ses The­ma zu spre­chen. Die­se Form der Begeg­nung schätzt auch Moni­ka Liauw-Hani­mann, die seit acht Jah­ren den Stamm­tisch in Baden betreut. Die Aar­gaue­rin, die mit einem Indo­ne­si­er ver­hei­ra­tet war und als Reli­gi­ons­leh­re­rin gear­bei­tet hat, sagt: «Ich merk­te schon in mei­ner Schul­zeit, dass die Reli­gio­nen Hand in Hand gehen müs­sen.»Schaut man in die Pro­to­kol­le der letz­ten Jah­re, kommt eine beein­drucken­de Band­brei­te an The­men zusam­men: Die Anläs­se tru­gen Titel wie «Glau­be im Aar­gau», «Das Jid­disch der Juden im Surb­tal» und «Die See­le des Men­schen und ihre Rei­se in die gei­sti­gen Wel­ten». Wei­ter: «Reli­gi­on und Musik im ale­vi­ti­schen Got­tes­dienst» und «Sufis­mus — Ein Weg spi­ri­tu­el­ler Frei­heit». Eben­falls the­ma­ti­siert wur­de unter dem Schlag­wort «Call für Jihad» die Radi­ka­li­sie­rung der Jugend. Sol­che Podi­ums­run­den kön­nen schon mal bunt aus­fal­len. So kam es schon vor, dass im Aar­au­er Pfarr­haus am Stamm­tisch ein ehe­ma­li­ger Fach­hoch­schul­leh­rer sass, der Füh­run­gen in Sikh- und Hin­du­tem­peln und in Moscheen macht.

Mit dabei an der Badenfahrt

Als wich­ti­ge Auf­ga­be sieht der airak zudem die Ver­net­zungs­ar­beit. Dies geschieht nach und innen und nach aus­sen. Wei­ter betei­li­gen sich die Akti­vi­sten des airak an vie­len inter­re­li­giö­sen Akti­vi­tä­ten im Aar­gau und ande­ren Regio­nen der Schweiz. So etwa seit 2009 am Inter­re­li­giö­sen Stern­marsch im Kan­ton Aar­gau, der jeden Som­mer durch den aar­gaui­schen katho­li­schen Frau­en­bund orga­ni­siert wird, wie Béa­tri­ce Men­zi Hussain betont.Über­dies gestal­tet airak jähr­lich auch das «Gebet der Reli­gio­nen» am Buss- und Bet­tag in Baden, das der airak auch vor rund 20 Jah­ren initi­iert hat­te. Wei­ter enga­giert sich der Inter­re­li­giö­se Arbeits­kreis an der «Woche der Reli­gio­nen» sowie am «Fest der Kul­tu­ren» auf dem Zen­trums­platz in Wet­tin­gen. «Ein Höhe­punkt für uns war die Betei­li­gung an der Baden­fahrt letz­tes Jahr», erin­nert sich Béa­tri­ce Men­zi Hussain.

«Es braucht die Bereit­schaft, sich zu öffnen»

Inter­re­li­giö­ser Dia­log kann anstren­gend sein, das weiss Urs Fischer aus sei­ner lang­jäh­ri­gen Erfah­rung. Er sagt: «Er ist anspruchs­voll, denn er benö­tigt einen lan­gen Atem sowie Hin­ter­grund­wis­sen und die Bereit­schaft, sich ande­ren zu öff­nen. Viel­leicht ist das ein Grund, war­um sich nicht mehr Leu­te dafür enga­gie­ren.» Auch von eini­gen Pfar­rei­en wünscht sich der ehe­ma­li­ge Cari­tas-Mit­ar­bei­ter noch mehr Enga­ge­ment. Moni­ka Liauw wird jeden­falls immer wie­der neu in der Stadt­kir­che Baden die airak-Fly­er auf­le­gen, denn sie weiss: «Wir wer­den durch­aus wahrgenommen.»
Andreas C. Müller
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