Das Ver­mächt­nis von Franziskus
Franziskus hat als erster Papst eine Autobiografie geschrieben.
Bild: © Oli­ver Sittel

Das Ver­mächt­nis von Franziskus

Der Papst veröffentlicht seine Memoiren

Die Autobiografie «Hoffe» ist in lesenswertes Buch für Fans und Interessierte. Beim Thema Missbrauchs​­­be­kämpfung hingegen vermag der Papst nicht zu überzeugen.

In 80 Län­dern gleich­zei­tig sind am 14. Janu­ar die Memoi­ren von Papst Fran­zis­kus erschie­nen. «Hof­fe» ist die erste Auto­bio­gra­fie, die von einem Papst ver­fasst wur­de. Auf knapp 400 Sei­ten gibt sich Fran­zis­kus von sei­ner ­per­sön­li­chen Sei­te: nah­bar, humor­voll und bemüht um sein Ver­mächt­nis als pasto­ra­ler Papst in poli­tisch anspruchs­vol­len Zeiten.

Hof­fen in Zei­ten der Hoffnungslosigkeit

Der «Papst vom Ende der Welt» hat ita­lie­ni­sche Wur­zeln. Pie­mon­te­sisch sei die erste Spra­che gewe­sen, die er ken­nen­lern­te. Gespro­chen hat sie sei­ne Gross­mutter, eine prä­gen­de Figur im Leben des klei­nen Jor­ge. «Ich habe mei­ne Oma Rosa innig geliebt und wur­de auch von ihr geliebt. Für mich war sie die leben­di­ge Ver­kör­pe­rung der All­tags­hei­li­gen.» Jor­ge ­Mario Berg­o­glio und sei­ne vier Geschwi­ster wuch­sen als Migran­ten­kin­der im Stadt­teil Flo­res in Bue­nos Aires auf. Sei­ne Gross­el­tern waren mit sei­nem Vater vor Armut und Krieg aus Euro­pa geflo­hen, getrie­ben von der Hoff­nung in den Ame­ri­kas ein bes­se­res Leben aufzubauen.

Papst in Krisenzeiten

Die Par­al­le­len zu heu­te sind gewollt und Fran­zis­kus hat hier beson­ders sei­ne euro­päi­sche Leser­schaft im Auge, die er in Anbe­tracht der Abschot­tung des Kon­ti­nents an die Geschich­te erin­nert. Die Sor­ge vor Popu­lis­mus, Natio­na­lis­mus und dem Drit­ten Welt­krieg, der laut dem Papst bereits «stück­wei­se» geführt wer­de, sind Leit­mo­ti­ve der Auto­bio­gra­fie. Die aktu­el­len poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen, die Fran­zis­kus immer wie­der anspricht, sind der Grund, war­um er die Ver­öf­fent­li­chung vor­ge­zo­gen hat. Ursprüng­lich soll­ten die Memoi­ren erst nach sei­nem Tod erscheinen.


Papst Fran­zis­kus begrüsst Besu­che­rin­nen und Besu­cher bei sei­ner Ankunft zur Gene­ral­au­di­enz am ­29. Janu­ar in der Audi­enz­hal­le im Vati­kan © kna

Kind­heit und Jugend

Mit unver­hoh­le­ner Zärt­lich­keit erin­nert sich der Pon­ti­fex sei­ner Hei­mat und sei­ner Fami­lie. Der klei­ne Jor­ge liebt Super­man-Comics, ist ein schlech­ter Fuss­ball­spie­ler, was sei­ne Begei­ste­rung für den Sport nicht min­dert, er prü­gelt sich, flucht und beschimpft sei­ne Lehrerin.

Seit sei­ner Jugend kennt der heu­ti­ge Papst Pha­sen der Depres­si­on. «Sie hat mich ein Leben lang beglei­tet, die­se Melan­cho­lie», schreibt er. Heu­te weiss er: «Es ist ein Signal, das mir sagt, dass ich acht­ge­ben muss, dass gera­de etwas geschieht und dass das Leben von mir eine Ant­wort ver­langt. Ich habe auch gelernt, von dort aus vor­wärts zu gehen.» Es sind sol­che Pas­sa­gen, jen­seits des päpst­li­chen Ver­mächt­nis, die «Hoff­nung» auch für Kir­chen­fer­ne lesens­wert machen.

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Ver­lo­sung

Zum ersten Mal schreibt ein Papst sei­ne Memoi­ren. Sie trägt den Titel: «Hof­fe. Die Auto­bio­gra­fie», hat 384 Sei­ten, ist im Pen­­gu­in-Ver­­lag erschie­nen und kostet CHF 35.90. Die Auto­bio­gra­fie ist lesens­wert für Fans und Inter­es­sier­te. Sie erfah­ren viel Per­sön­li­ches über das Ober­haupt der römisch-katho­­li­­schen Kir­che. Der Ton und Schreib­stil sind ein­fach, klar, mal humo­ri­stisch, mal nachdenklich.

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Cover der deut­schen Aus­ga­be von «Hoff­fe. Die Auto­bio­gra­fie» erschie­nen bei Kösel © Eva Meienberg

Jor­ge auf dem Weg zu Franziskus

«Tat­sa­che ist, dass ich aus dem Beicht­stuhl her­aus­trat und nicht mehr der­sel­be Mensch war wie vor­her. Und plötz­lich wuss­te ich, dass ich Prie­ster wer­den wür­de.» Als sei­ne Mut­ter von der Beru­fung des 18-jäh­ri­gen erfährt, ist sie alles ande­re als begei­stert. Aber Jor­ge setzt sich durch. Er tritt ins Jesui­ten­kol­leg ein und steigt schnell auf. Wäh­rend der Zeit der Militär­junta in Argen­ti­ni­en (1976–83) wird er auch mal zum Flucht­hel­fer. Die­se Pas­sa­gen dürf­ten sich beson­ders an die Kri­ti­ker in sei­ner Hei­mat rich­ten, die Fran­zis­kus Nähe zum Regime vorwerfen.

«Tra­di­ti­on ist nicht Anbe­tung der Asche, son­dern die Wei­ter­ga­be des Feuers.»

Ein pasto­ra­ler Papst für alle

Der pasto­ra­le Papst, bekennt sich zum Volks­glau­ben und kri­ti­siert Tra­di­tio­na­lis­mus und Rück­wärts­ge­wandt­heit. «Die Lit­ur­gie ist kein Selbst­zweck, los­ge­löst von der pasto­ra­len Tätig­keit.» Und: «Tra­di­ti­on ist nicht Anbe­tung der Asche, son­dern die Wei­ter­ga­be des Feu­ers», schreibt der Papst. Mit sei­nen Memoi­ren möch­te Fran­zis­kus alle errei­chen. Fran­zis­kus ver­steht sich als Seel­sor­ger, nicht als uni­ver­si­tä­rer Theo­lo­ge. Er will alle Men­schen errei­chen. Das spie­gelt sich in Ton und Schreib­stil, ein­fach, klar, mal humo­ri­stisch, mal nach­denk­lich, immer leicht zu fol­gen – auch bei kir­chen­po­li­tisch schwie­ri­gen Themen.

Eine Kir­che für alle

Papst Fran­zis­kus plä­diert für die Teil­ha­be der Frau­en und sagt: «Es gibt kei­ne Grün­de, war­um Frau­en in der Kir­che kei­ne Füh­rungs­rol­le über­neh­men soll­ten.» Gleich­zei­tig weicht er nicht von der Idee ab, dass das Prie­ster­amt männ­lich sein muss. Die Macht aber kann geteilt wer­den. Der begna­de­te Sym­bol­po­li­ti­ker Fran­zis­kus hat sicher nicht zufäl­lig eine Woche vor Ver­öf­fent­li­chung sei­nes Buchs Simo­na Bram­bil­la zur ersten Prä­fek­tin im Vati­kan ernannt.

Fran­zis­kus’ Kir­che ist ohne Unter­schied für alle da. Mit kla­ren Wor­ten stellt sich der Papst gegen die Ver­fol­gung von homo­se­xu­el­len Men­schen, die noch immer in über 60 Län­dern Rea­li­tät ist. «Homo­se­xua­li­tät ist kein Ver­brechen, son­dern eine Tat­sa­che des Mensch­seins. Und die Kir­che und die Chri­sten kön­nen ange­sichts die­ser ver­bre­che­ri­schen Unge­rech­tig­keit nicht die Augen ver­schlies­sen oder sich klein­mü­tig verhalten.»

Eine poli­ti­sche Kirche

Fran­zis­kus’ Kir­che ist auch eine poli­ti­sche Kir­che. Sie mischt sich ein, auch gera­de dort, wo es unan­ge­nehm wird. Und sie lässt sich nicht vom Schei­tern ent­mu­ti­gen. Am 25. Febru­ar 2022, dem Tag nach dem rus­si­schen Ein­marsch, hat sich Fran­zis­kus per­sön­lich in die rus­si­sche Bot­schaft bege­ben. «Ich bat fle­hent­lich um die Ein­stel­lung des Bom­bar­de­ments und mahn­te zum Dia­log. Ich schlug eine Media­ti­on durch den Vati­kan vor (…).» Die Absa­ge kam kurz dar­auf von Putins Aus­sen­mi­ni­ster Law­row. Die Bemü­hun­gen des Vati­kans durch sei­ne Ver­tre­ter vor Ort auf die Kon­flikt­par­tei­en ein­zu­wir­ken, hät­ten seit­her aber nicht ­abge­nom­men. Ähn­lich äus­sert sich Fran­zis­kus zum Nah­ost­kon­flikt. Frie­de, das Ende der Gewalt und der Lei­den der Men­schen, müs­se das höch­ste Stre­ben sein, dem der Papst all sei­ne ver­blei­ben­de Ener­gie widmet.

Hadern mit den eige­nen Abgründen

Weni­ger ener­gisch the­ma­ti­siert der Papst die Miss­brauchs­kri­se der katho­li­schen Kir­che. Die knap­pen Sei­ten, die der Papst dem The­ma wid­met, sind die am wenig­sten über­zeu­gen­den. Hier hät­te man sich etwas ande­res gewünscht, sind doch die zahl­rei­chen Miss­brauchs­fäl­le der Grund für den histo­risch ein­zig­ar­ti­gen Macht- und Ver­trau­ens­ver­lust der Kir­che im letz­ten Vier­tel­jahr­hun­dert. Es ist die eine gros­se Schwä­che der anson­sten durch­aus lesens­wer­ten Autobiografie.

Die aus­führ­li­che Ver­si­on des Arti­kels ist zuerst im «pfarr­blatt» Bern erschie­nen.

Annalena Müller
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