Das ver­flix­te zwölf­te Jahr

Das ver­flix­te zwölf­te Jahr

Laut einer Richt­li­nie des Bis­tums Basel sol­len Pfar­rer und Gemein­de­lei­ter nach spä­te­stens zwölf Jah­ren die Stel­le wech­seln. Dies soll Auf­bruch und Bewe­gung in den Pfar­rei­en för­dern. Doch die gut gemein­te Regel stösst oft auf Men­schen, die sich Bestän­dig­keit wün­schen. Eine Recher­che zwi­schen Ide­al und Wirk­lich­keit im Freiamt. Seit der Amts­zeit von Bischof Anton Häng­gi (1968–1982) kennt das Bis­tum Basel eine Qua­si-Amts­zeit­be­schrän­kung für Pfar­rer und Gemein­de­lei­ter. Nach 8 bis 12 Jah­ren, so die Richt­li­nie, sol­len Pfar­rei­ver­ant­wort­li­che eine neue Stel­le suchen. «Erfah­rungs­ge­mäss sinkt die Moti­va­ti­on nach spä­te­stens zwölf Jah­ren in der­sel­ben Lei­tungs­auf­ga­be merk­lich», erklärt Fabi­an Berz, Per­so­nal­ver­ant­wort­li­cher im Bis­tum Basel. Die Fol­gen: «Bei vie­len kehrt nach die­ser Zeit­span­ne eine Rou­ti­ne ein. Für Gläu­bi­ge wie für die Lei­ten­den feh­len die nöti­gen Her­aus­for­de­run­gen.» Um der dro­hen­den Kom­fort­zo­ne zu ent­ge­hen, appel­liert das Bis­tum an die Wech­sel­be­reit­schaft sei­ner rund 250 Kader­an­ge­stell­ten. Die Blut­auf­fri­schung soll zudem klei­ne Dorf­kö­nig­tü­mer ver­hin­dern, wo Kir­chen­ver­tre­ter und ihre Fan­ge­mein­de eine exklu­si­ve, poten­zi­ell selbst­ge­rech­te Ein­heit bil­den.

Kir­chen­pfle­gen wol­len Stabilität

Ein Blick ins Per­so­nal­ver­zeich­nis des Bis­tums Basel zeigt: Im Durch­schnitt wird die Richt­li­nie im Aar­gau ein­ge­hal­ten. Gera­de ange­sichts der Pasto­ral­raum­bil­dung ist die Per­so­nal­fluk­tua­ti­on rela­tiv hoch; bis­wei­len kommt es mit den sich wan­deln­den Struk­tu­ren und Auf­ga­ben­be­rei­chen zu vor­schnel­len Abgän­gen. Auf der ande­ren Sei­te gibt es nicht weni­ge Pfar­rei­en, in denen seit mehr als zwölf Jah­ren die glei­che Per­son die Geschicke lenkt. Trotz der bis­tüm­li­chen Richt­li­nie? Die Regel sei nur als Emp­feh­lung zu ver­ste­hen, erklärt Fabi­an Berz, man berück­sich­ti­ge stets auch die Sicht­wei­se der Lei­tungs­per­so­nen und der Gemein­de. Man ver­su­che zu über­zeu­gen, «Sank­ti­ons­mög­lich­kei­ten haben wir kaum». Tat­sa­che ist: Letzt­lich stel­len in der Schweiz die staats­kir­chen­recht­li­chen Behör­den das Per­so­nal ein. Und die­se wür­den, so Berz, oft für bestehen­des Per­so­nal ein­tre­ten.So auch in Lenz­burg: Dort amtet Roland Häf­li­ger (50) seit 16 Jah­ren als Pfar­rer — zur Zufrie­den­heit der Gemein­de. «Unser Pfar­rer ist ein guter Pre­di­ger und gestal­tet gepfleg­te Lit­ur­gien. Die Kir­che ist auch ver­hält­nis­mäs­sig gut besucht», freut sich Bri­git­te Eyhol­zer, Per­so­nal­ver­ant­wort­li­che der Kir­chen­pfle­ge. Einen Wech­sel hält sie für Lenz­burg nicht für ange­zeigt. War­um? Die Suche nach kirch­li­chem Per­so­nal sei immer «her­aus­for­dernd», so Bri­git­te Eyhol­zer. Vakan­zen und Unru­he in den benach­bar­ten Gemein­den Wild­egg und Seon, wo Pfar­rer Häf­li­ger in der Fol­ge eben­falls die Ver­ant­wor­tung über­nahm, weck­ten ein Bedürf­nis nach Sta­bi­li­tät. Die Kir­chen­pfle­ge­rin fin­det denn auch, dass die bis­tüm­li­che Zwölf-Jah­re-Regel nicht in Stein gemeis­selt wer­den soll. «Es ist wie in einer Bezie­hung: Wenn es beid­seits passt, soll man zusam­men­blei­ben.» Auf der Bett­me­r­alp in ihrer Wal­li­ser Hei­mat hat Bri­git­te Eyhol­zer einen Pfar­rer erlebt, der dreis­sig Jah­re im Amt geblie­ben ist. «Er war so ver­wur­zelt dort. Eine solch tie­fe Ver­bin­dung zu lösen, kann sehr schmerz­haft sein.»

«Kir­che fällt nicht aus­ein­an­der, wenn ich nicht mehr da bin»

16 Kilo­me­ter öst­lich von Lenz­burg wohnt und wirkt Ueli Hess (69). Der ver­hei­ra­te­te Dia­kon lei­tet noch bis 2018 den Pasto­ral­raum «Brem­gar­ten-Reus­s­tal». Zuvor war auch Ueli Hess in Lenz­burg tätig, davor in Fisch­bach-Gös­li­kon. «Ich war nie län­ger als zehn Jah­re auf einer Stel­le», erzählt Hess mit anstecken­der Fröh­lich­keit. Regel­mäs­si­ge Neu­an­fän­ge sind Teil sei­ner Spi­ri­tua­li­tät: «Ich sehe einen tie­fe­ren Sinn im Wech­sel. Es ist wahn­sin­nig gesund, immer wie­der das Los­las­sen zu üben.» Er negiert nicht, dass Abschie­de schmerz­haft sei­en, ins­be­son­de­re wenn es gut lau­fe, der Lei­ter beliebt sei und sei­ner­seits die Leu­te gern habe. Doch gera­de dann gel­te es zu rea­li­sie­ren: «Die Kir­che fliegt nicht aus­ein­an­der, wenn ich nicht mehr da bin.»Bei Ueli Hess trat das Bis­tum offe­ne Türen ein, als es ihm neue Stel­len schmack­haft mach­te. Oft aber stösst es auf Wider­spruch. Bei ver­hei­ra­te­ten Kir­chen­ka­dern sind es häu­fig fami­liä­re Grün­de, die gegen einen Stel­len­wech­sel vor­ge­bracht wer­den. So auch im Fall von Georg Umbricht (62), Gemein­de­lei­ter in Ober­lunk­ho­fen, süd­lich von Brem­gar­ten. Als er 2001 die Stel­le im Frei­amt antrat, waren sei­ne drei Kin­der 10, 8 und 6 Jah­re alt. Einen Umzug wäh­rend ihrer Aus­bil­dungs­zeit woll­te er ihnen nicht zumu­ten. Jetzt, kurz vor dem regu­lä­ren Pen­si­ons­al­ter, strebt Georg Umbricht kei­nen beruf­li­chen Tape­ten­wech­sel mehr an. Umbricht sah es als Vor­teil an, so lan­ge am glei­chen Ort zu sein, weil er die Pfar­rei «auf einer soli­den Basis» gestal­ten konn­te. «Auf der ande­ren Sei­te», gibt der Gemein­de­lei­ter selbst­kri­tisch zu, «wer­den neue­re Impul­se rarer, weil sich ja so vie­les bewährt hat.»

Hemm­schu­he Geld und Wohneigentum

Ande­re ver­hei­ra­te­te Lei­tungs­per­so­nen ken­nen oft noch einen wei­te­ren Grund, der sie an einen Ort bin­det: Wohn­ei­gen­tum. Pfar­rer, die im Pfarr­haus woh­nen, sind dem­ge­gen­über mobi­ler. Theo­re­tisch. Denn zöli­ba­t­är Leben­de sei­en nicht wech­sel­freu­di­ger, sagt Fabi­an Berz. Sie ver­wie­sen oft auf ein «Bezie­hungs­um­feld, das in kei­nem Fall ver­las­sen wer­den kann.»Schliess­lich gibt es für Prie­ster wie für Lai­en noch ein wei­te­res Bleib­e­mo­tiv: Das Geld. «Das Lohn­ge­fäl­le ist im Bis­tum immer noch sehr gross», weiss Fabi­an Berz. Inter­es­sant ist in die­sem Zusam­men­hang der Blick über die Kan­tons­gren­ze nach Zug: Im rei­chen Kan­ton, in dem über­durch­schnitt­lich hohe Gehäl­ter bezahlt wer­den, sind fast die Hälf­te der Pfar­rer oder Gemein­de­lei­ter schon län­ger als zehn Jah­re im Amt. Schliess­lich kann auch der grund­sätz­lich höhe­re Kader­lohn zum Mobi­li­täts-Hemm­schuh wer­den. Weil die neu­en Pasto­ral­räu­me die Zahl der Lei­tungs­po­si­tio­nen redu­ziert, ris­kie­ren bis­he­ri­ge Füh­rungs­kräf­te bei einem Wech­sel bis­wei­len eine Degra­die­rung – ver­bun­den mit Lohn­ein­bus­sen.

Bischof: In dubio pro Risiko

Kin­der, Hei­mat, Geld, Alter: Der guten Grün­de, die fürs Blei­ben und gegen das Gehen spre­chen, sind vie­le. «Manch­mal wer­den die Grün­de, selbst die Kin­der, aber auch vor­ge­scho­ben», sagt ein Gemein­de­lei­ter, der anonym blei­ben möch­te. Man mache sich bis­wei­len vor, dass man am glei­chen Ort immer wie­der Neu­es aus­pro­bie­re, ver­fal­le aber unmerk­lich doch in einen Trott und eine Bequem­lich­keit. «Es gibt schon Ses­sel­kle­ber», bringt es auch Ueli Hess in Brem­gar­ten offen zur Spra­che. Die­ser Men­ta­li­tät, die so gar nicht dem Cre­do des Wan­der­pre­di­gers aus Naza­reth ent­spricht, ver­sucht das Bis­tum ent­ge­gen­zu­wir­ken. Auch dem Bischof selbst, der die Per­so­nal­po­li­tik zur Chef­sa­che gemacht hat, liegt dies am Her­zen. Wech­sel sei­en immer ein Risi­ko, per­sön­lich wie für die Pfar­rei, sagt Bischof Gmür. Er plä­diert dafür, das Risi­ko ein­zu­ge­hen: «Im Inter­es­se von Wan­del und regel­mäs­si­ger Ent­wick­lung ist es gerecht­fer­tigt. Ich glau­be, dass dies der bes­se­re Weg ist, als nur das Bestehen­de zu pflegen.» 
Andreas C. Müller
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