Das Tabu brechen

  • Dani­el Mey­er berät Opfer sexu­el­len Miss­brauchs im Umfeld der katho­li­schen Kirche.
  • Er ist vom Bis­tum Basel ange­stellt, arbei­tet aber unabhängig.
  • Was die Opfer erwar­tet, wenn sie sich bei ihm mel­den, erklärt Mey­er im Interview.

Wer darf sich bei Ihnen für eine Bera­tung mel­den?
Dani­el Mey­er*:
Zu uns kommt, wer noch nicht sicher ist, wel­chen Weg er oder sie beschrei­ten will. Wir emp­fan­gen sowohl die Opfer von sexu­el­lem Miss­brauch im Umfeld der Kir­che, als auch die Täte­rin­nen und Täter. Aber auch Mit­wis­sen­de oder Ange­hö­ri­ge dür­fen zu uns kom­men. Die Betrof­fe­nen dür­fen sich aber auch direkt bei der Koor­di­na­ti­ons­per­son des Bis­tums mel­den. Frau Chri­sti­ne Hess-Kel­ler ist Rechts­an­wäl­tin und besetzt die Mel­de­stel­le für sexu­el­le Über­grif­fe im Bis­tum Basel. Sie setzt sich dafür ein, dass der gemel­de­te Vor­fall voll­stän­dig geklärt wird.

War­um bera­ten Sie auch Täte­rin­nen und Täter, Mit­wis­sen­de und Zeu­gen?
Sexu­el­ler Miss­brauch ist ein Tabu-The­ma – für die Opfer wie für die Täte­rin­nen und Täter. Wer das Tabu bre­chen möch­te, dem wol­len wir die Mög­lich­keit dazu geben. Die­se Mög­lich­keit haben die Täte­rin­nen und Täter bei der Opfer­hil­fe bei­spiels­wei­se nicht.

In wel­chem Ver­hält­nis ste­hen Sie als Bera­tungs­per­so­nen zum Bis­tum Basel und zur katho­li­schen Kir­che?
Weder Frau Mie­ruch noch ich sind Mit­glie­der der katho­li­schen Kir­che. Wir arbei­ten auf Man­dats­ba­sis für das Bis­tum Basel und wer­den durch das Bis­tum entlöhnt.

Wo fin­den die Bera­tun­gen statt?
Die Bera­tun­gen kön­nen in mei­ner Pra­xis in Basel statt­fin­den. Ich bin aber auch bereit, betrof­fe­ne Per­so­nen an einem ande­ren Ort zu tref­fen. Es ste­hen auch Räum­lich­kei­ten der Kir­che zur Ver­fü­gung, was aber für einen Teil der Betrof­fe­nen kein guter Ort sein könnte.

Was geschieht im Detail, wenn eine betrof­fe­ne Per­son sich bei Ihnen mel­det?
Zual­ler­erst infor­mie­re ich die Per­son, dass ich im Fal­le einer straf­recht­lich rele­van­ten Situa­ti­on ver­pflich­tet bin, die Koor­di­na­ti­ons­per­son des Bis­tums über den Fall zu infor­mie­ren. Das heisst, wenn die betrof­fe­ne Per­son den Rechts­weg nicht beschrei­ten will, dann endet in die­sem Moment die Bera­tung. Die Per­son kann sich dann gege­be­nen­falls bei der Opfer­hil­fe mel­den. Die­se unter­steht der Schwei­ge­pflicht auch in straf­recht­lich rele­van­ten Fällen.

Sie machen also eine Tria­ge der Fäl­le. Wie geht es wei­ter, wenn die betrof­fe­ne Per­son mit dem Vor­ge­hen ein­ver­stan­den ist?
Durch geziel­te Fra­gen ver­su­che ich ein­schät­zen zu kön­nen, inwie­weit die geschil­der­te Situa­ti­on straf­recht­lich rele­vant sein könn­te. Es ist zum Bei­spiel mög­lich, dass ich die Per­son zur Poli­zei beglei­te, um eine Anzei­ge zu machen. Auch in den Fäl­len, die nicht straf­recht­lich rele­vant sind, kann ich hel­fen. Etwa mit Infor­ma­tio­nen zu psy­cho­lo­gi­scher Unter­stüt­zung. Dabei geht es oft um die Finan­zie­rung von The­ra­pien. Das Opfer­hil­fe­ge­setz sieht in sol­chen Fäl­len Unter­stüt­zun­gen vor.

Gibt es vom Bis­tum finan­zi­el­le Unter­stüt­zung?
Für ver­jähr­te Fäl­le oder Fäl­le, in denen die mut­mass­li­chen Täter ver­stor­ben sind, besteht ein Fonds. Die­ser wur­de von der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz (SBK), der Ver­ei­ni­gung der Höhern Ordens­obern der Schweiz (VOS’USM) und der Römisch-Katho­li­schen Zen­tral­kon­fe­renz (RKZ)zu Gun­sten der Opfer von sexu­el­len Über­grif­fen errichtet.

Bei nicht ver­jähr­ten Fäl­len geht die Mel­dung an die Koor­di­na­ti­ons­per­son. Steht der Vor­wurf eines Offi­zi­al­de­likts im Raum – ein mut­mass­li­cher sexu­el­ler Miss­brauch – for­dert die Koor­di­na­ti­ons­per­son den zustän­di­gen Ordi­na­ri­us auf, eine Straf­an­zei­ge bei der Staats­an­walt­schaft ein­zu­rei­chen. Der Ordi­na­ri­us ist der Bischof, der Gene­ral­vi­kar oder der Bischofs­vi­kar. Dies geschieht unab­hän­gig von der Ein­wil­li­gung des Opfers.

Wor­an lei­den Opfer eines sexu­el­len Miss­brauchs am mei­sten?
Oft lei­den die Opfer an quä­len­den Scham­ge­füh­len. Zusätz­lich zu der Scham füh­len sich die Opfer häu­fig auch selbst schul­dig. Im kirch­li­chen Kon­text sind die sexu­el­len Miss­bräu­che oft in einer seel­sor­ge­ri­schen Situa­ti­on gesche­hen. Die Opfer haben sich bei­spiels­wei­se dem Seel­sor­ger oder der Seel­sor­ge­rin anver­traut, waren in die­sen Situa­tio­nen bedürf­tig, haben Zuwen­dung gesucht und sind dann miss­braucht worden.

Wor­an lei­den die Täte­rin­nen und Täter?
Es hängt von der Empa­thie­fä­hig­keit der Täte­rin­nen und Täter ab, ob sie Scham- oder Schuld­ge­füh­le ent­wickeln können.

Auf­ar­bei­tung sexu­el­len Miss­brauchs in der katho­li­schen Kir­che Schweiz

Die Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz (SBK), die Römisch-Katho­li­sche Zen­tral­kon­fe­renz (RKZ) und die Kon­fe­renz der Ver­ei­ni­gung der Orden und wei­te­rer Gemein­schaf­ten des gott­ge­weih­ten Lebens (KOVOS) haben der Uni­ver­si­tät Zürich den Auf­trag erteilt, die Geschich­te des sexu­el­len Miss­brauchs im Umfeld der römisch-katho­li­schen Kir­che in der Schweiz seit Mit­te des 20. Jahr­hun­derts zu erfor­schen. Am 12. Sep­tem­ber wer­den die Ergeb­nis­se der Pilot­stu­die an einer Medi­en­kon­fe­renz prä­sen­tiert. Dann wer­den die Ergeb­nis­se der Pilot­stu­die auf der Sei­te www.missbrauch-kath-info.ch abruf­bar sein.

Hier fin­den Sie Hilfe:

Wenn Sie Opfer, Täter oder Täte­rin, Mit­wis­sen­de oder Ange­hö­ri­ger eines sexu­el­len Miss­brauchs im Umfeld der katho­li­schen Kir­che sind, kön­nen Sie den Vor­fall bei der Koor­di­na­ti­ons­per­son des Bis­tums Basel mel­den. Wenn Sie unsi­cher sind, ob Sie sich mel­den wol­len, kon­tak­tie­ren Sie eine Bera­tungs­per­so­nen des Bis­tums. Die Fach­leu­te hel­fen Ihnen wei­ter. Oder Sie mel­den sich bei der kirch­lich unab­hän­gi­gen Opfer­be­ra­tung Aar­gau.

Wel­cher Typus von Tätern wird sich bei Ihnen melden?

Ich gehe davon aus, dass Men­schen, die im kirch­li­chen Umfeld gezielt Situa­tio­nen gesucht haben, um Sexu­al­straf­ta­ten zu bege­hen, sich bei uns nicht mel­den werden.

Wie gehen sie damit um, dass der sexu­el­le Miss­brauch ein syste­mi­sches Pro­blem der katho­li­schen Kir­che ist?
Jemand kommt zu einer Seel­sor­ge­rin oder einem Seel­sor­ger und möch­te Hil­fe. Das ist in mei­ner Arbeit als Bera­tungs­per­son nicht anders. Es ist schwie­rig, die­se Situa­tio­nen so zu gestal­ten, dass man sich auf Augen­hö­he begeg­nen kann. Das gelingt nur, wenn die bera­ten­de Per­son sich selbst sehr gut kennt und weiss, was sie in die Bera­tungs­si­tua­ti­on mit­ein­bringt. Psy­cho­lo­gin­nen und Psy­cho­lo­gen ver­brin­gen vor allem aus die­sen Grün­den viel Zeit ihrer Aus­bil­dung mit Selbst­er­fah­rung. Inwie­weit Seel­sor­gen­de ähn­lich aus­ge­bil­det wer­den, kann ich nicht beur­tei­len. Auf jeden Fall hat jedoch das Schutz­kon­zept des Bis­tums zum Ziel dies­be­züg­lich zu sensibilisieren.

Müss­te es neben einer Ver­bes­se­rung der Aus­bil­dung auch stren­ge­re Zulas­sungs­be­din­gun­gen geben?
Im Kon­zept des Bis­tums wird der Prä­ven­ti­on ein hoher Stel­len­wert zu geord­net. Das heisst bei­spiels­wei­se, dass die neu ein­ge­setz­te Prä­ven­ti­ons­be­auf­trag­te Mass­nah­men durch­setzt und auch über­prüft. Im Kon­zept ist die Rede von ver­schie­de­nen Werk­zeu­gen, um den Umgang mit Nähe und Distanz zu pro­fes­sio­na­li­sie­ren: Nebst Ver­hal­tens­ko­dex, Mit­ar­bei­ter­ge­sprä­chen, Con­trol­ling ist dies auch die Wei­ter­bil­dung, wel­che sen­si­bi­li­siert für Emp­feh­lun­gen bei Neu­an­stel­lun­gen. So ist bei­spiels­wei­se, wie in ande­ren sozia­len Ein­rich­tun­gen auch, ein Son­der­pri­vat­aus­zug not­wen­dig bei einer Neuanstellung.

Sich als Opfer eines sexu­el­len Miss­brauchs zu outen, eine Anzei­ge bei der Poli­zei erstat­ten, das sind schwie­ri­ge Schrit­te, die den erleb­ten Miss­brauch noch­mals Revue pas­sie­ren las­sen. Lohnt es sich den­noch die­sen Weg zu beschrei­ten?
Ich glau­be, dass es sich auf jeden Fall lohnt. Aber die Fra­ge ist tat­säch­lich: ist die Per­son in der Lage zum näch­sten Poli­zei­po­sten zu gehen und Anzei­ge zu erstat­ten oder wäre es hilf­reich, den Weg über die Koor­di­na­ti­ons­per­son des Bis­tums zu gehen, die das Opfer dabei unterstützt.

Was haben die Betrof­fe­nen davon, wenn sie die­sen Weg beschrei­ten?
Ich den­ke dabei an die Ent­wick­lung die­ser Men­schen. Eine Per­son, die mit Tabus durch ihr Leben geht, steht immer wie­der an. Die­se Tabus auf­zu­decken und zu ver­ar­bei­ten, ein­zu­ord­nen in ihr Leben, ist wich­tig für die per­sön­li­che Ent­wick­lung. Und beson­ders für die Bezie­hungs­ge­stal­tung zu ande­ren Men­schen. Ein unver­ar­bei­te­ter sexu­el­ler Miss­brauch kann es schwie­rig machen, gesun­de Bezie­hun­gen, eine gesun­de Sexua­li­tät zu leben.

Was könn­te ein Hin­weis sein, dass eine Per­son einen Miss­brauch erlebt hat, den die Per­son ver­drängt hat?
Wenn eine Per­son ganz all­täg­li­che Situa­tio­nen, wie etwa Berüh­rung, nicht mehr erträgt, könn­te das ein Hin­weis sein. Mög­lich sind psy­chi­sche und psy­cho­so­ma­ti­sche Erkran­kun­gen oder Sym­pto­me, wel­che sich schwer erklä­ren las­sen. Aus­gangs­punkt könn­te eine Miss­brauchs­er­fah­rung sein.

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Was steht bei den Bera­tun­gen, die das Bis­tum anbie­tet im Zen­trum? Die Repu­ta­ti­on der Kir­che oder das Schick­sal der Betrof­fe­nen?
Ich arbei­te im Man­dats­ver­hält­nis und bin unabhängig.

Mich hat das Schutz­kon­zept des Bis­tums gegen sexu­el­le Über­grif­fe im kirch­li­chen Umfeld über­zeugt. Sei­ne Bot­schaft ist klar: Wir wol­len kei­nen sexu­el­len Miss­brauch – es gilt Null­to­le­ranz. Dafür steht auch die Prävention.

*Die Bera­tungs­per­so­nen Dani­el Mey­er und Eli­sa­beth Mie­ruch hel­fen Betrof­fe­nen eines sexu­el­len Miss­brauchs in der katho­li­schen Kir­che, den für sie rich­ti­gen Weg ein­zu­schla­gen im Umgang mit dem Erleb­ten. Die Bera­tungs­per­so­nen haben eine erste Tria­ge-Funk­ti­on und wis­sen, wo Betrof­fe­ne recht­li­che oder psy­cho­lo­gi­sche Hil­fe bekom­men kön­nen. Die offi­zi­el­le Mel­de­stel­le des Bis­tums für einen sexu­el­len Miss­brauch ist die Koor­di­na­ti­ons­per­son, Chri­sti­ne Hess-Keller.

Ob es sich bei einem sexu­el­len Miss­brauch um eine straf­recht­lich rele­van­te Tat han­delt, ist im Schwei­ze­ri­schen Straf­ge­setz­buch fest­ge­hal­ten. Die Geset­ze sind aber all­ge­mein gehal­ten. Jeder kon­kre­te Fall muss geprüft wer­den. Bei­spie­le dazu fin­den Sie etwa auf der Sei­te der Opfer­be­ra­tung Aargau.

Eva Meienberg
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