Das hängende Dach von Suhr
An heisÂsen SomÂmertaÂgen ist es im Inneren einÂer Kirche schön kühl. Darüber hinÂaus kann der Besuch in den fünf AarÂgauer SichtÂbeÂtonkirchen von Aarau, Buchs, EnnetÂbaden, Suhr und WetÂtinÂgen (Anton) für ArchitekÂturÂinÂterÂessierte zu einem richtig coolen ErlebÂnis werÂden. HorÂiÂzonte machte die Probe aufs ExemÂpel und liess sich die SchmuckÂstücke vom leiÂtÂenÂden Denkmalpfleger Reto NussÂbaumer zeigen — in dieser Folge die Kirche Heilig Geist in Suhr.Fährt man von Aarau her in RichÂtung Suhr, ist schon von WeitÂem der 30 Meter hohe KirchÂturm einÂer der bedeuÂtendÂsten AarÂgauer Betonkirchen sichtÂbar. «In Suhr haben wir die fanÂtastisÂche KomÂbiÂnaÂtion von hoher IngeÂnieurskunÂst und beeinÂdruckÂender ArchitekÂtur des bekanÂnten SakralarÂchitekÂten Hanns A. Brütsch, die mit den grossarÂtiÂgen GlasÂmalereÂinen von FerÂdiÂnand Gehr zusamÂmenÂspielt» schwärmt Reto NussÂbaumer, LeitÂer der Denkmalpflege des KanÂtons AarÂgau. Auch wenn der aus dem Jahre 1961 stamÂmende Bau bereÂits in die Jahre gekomÂmen sei, wirke er – wie die anderen SichtÂbeÂtonkirchen im AarÂgau – noch immer sehr modÂern.
Werbung wie in Amerika
Schon die Anlage an und für sich sei bemerkenswert, so der Denkmalpfleger. «Der CamÂpanile steÂht im VerÂgleÂich zu anderen Kirchen ungewöhnÂlich weit weg vom KirchenkörÂpÂer». Das sei der besonÂderen Lage direkt an der HaupÂstrasse geschuldet. EinÂerÂseits habe man die Kirche möglichst weit von der Strasse entÂferÂnt errichtet, um mit einÂer Art VorÂplatz etwas AbgeschiedenÂheit zu erreÂichen, anderÂerÂseits habe man mit dem Turm direkt an der Strasse so deutÂlich als möglich OriÂenÂtierung geben wollen, erkÂlärt Reto NussÂbaumer. «In gewissÂer Weise amerikanisch», meint der Denkmalpfleger augenÂzwinkernd: «Die Werbesäule direkt an der Strasse.»
Möglicherweise von Le Corbusier inspiriert
ArchitekÂtonisch brilÂliert die Heilig Geist-Kirche mit ihrer DachkonÂstrukÂtion. Diese ruht aussÂchliesslich auf den vier AussenpfosÂten und spanÂnt sich frei schwebend über den KirchenÂraum. Zu Beginn der 1960er Jahre, als die Heilig Geist-Kirche in Suhr gebaut wurde, hätte man schon einige Erfahrung im Umgang mit Beton gehabt, aber «so ein Dach, das war schon frech», meint Reto NussÂabaumer. Ein gelunÂgener Wurf des bedeuÂtenÂden Zuger SakralarÂchitekÂten Hanns A. Brütsch, den Reto NussÂbaumer, der selbÂst aus Zug stammt – noch kenÂnen gelÂernt hatÂte. Eventuell habe für das Dach der Suhrer Heilig Geist-Kirche die 1950 erbaute «Notre Dame du Haut de RonÂchamp» von Le CorÂbusier ModÂell gesÂtanden, mutÂmasst Reto NussÂbaumer. Hanns A. Brütsch hätte dies jedoch immer bestritÂten.«Die Möglichkeit, mit Beton formÂsuchend und skulpÂturÂal zu bauen, hat kreative ArchitekÂten wie Hanns A. Brütsch angeregt, bei SakralÂbautÂen etwas BesonÂderes zu wagen», erkÂlärt Reto NussÂbaumer. Der spezielle Umgang des ArchitekÂten mit dem Beton hat der katholisÂchen Kirche in Suhr denn auch einen Platz unter den schützenswerten modÂerÂnen AarÂgauer SakralÂbautÂen gesichert. «Von den insÂgeÂsamt 100 SakralÂbautÂen aus dem 20. JahrhunÂdert sollen nur die herÂausÂraÂgenÂden unter kanÂtonalen Schutz gestellt werÂden», so der kanÂtonale Denkmalpfleger.
Industrieboden: Damals der «letzte Schrei»
Vor dem EinÂgangsÂbereÂich lenkt Reto NussÂbaumer das InterÂesse auf die imposante BetonÂfasÂsade. Senkrecht und quer ist die StrukÂtur der SchalÂbretÂter für den Beton erkennbar. Auch mit diesen StrukÂtureleÂmenten sei bewusst gespielt worÂden. Die Türen sind aus AluÂminiÂum. «Für die damaÂlige Zeit sehr gewagt, waren die MenÂschen doch reich verzierte schwere Holztüren bei Kirchen gewohnt.Beim Betreten des KirchenÂraums sorgt die über den EinÂgangsÂbereÂich herÂabgeÂzoÂgene schwebende OrgelemÂpore für GeborÂgenÂheit. Nach hinÂten hin weitÂet sich dann der Raum unter dem aufgesÂpanÂnten Dach, während von links und rechts das Licht durch die aus GlasÂmalereien besteÂhenÂden SeitÂenÂwände einÂfällt. Auch im Inneren wurÂden modÂerne MateÂriÂalen wie beispielÂsweise ein IndusÂtrieboÂden verÂarÂbeitÂet. «In der damaÂliÂgen Zeit der letÂzte Schrei», meint Reto NussÂbaumer und zeigt, dass beim Altar oder beim Ambo –um die besonÂdere BedeuÂtung jenÂer Orte herÂvorzuheben – andere, weitaus wertvollere BodenÂplatÂten verÂwenÂdet wurÂden.
Kein Bilderskandal in Suhr
Die GlasÂmalereien zeigen an der nördlichen ChorÂwand die alttesÂtaÂmenÂtarische DarstelÂlung der ErscheiÂnÂung Gottes in Form einÂer Wolke über den durch die Wüste ziehenÂden Israeliten, an der SüdÂwand das PfinÂgstÂwunÂder. AufÂfalÂlÂend: Alle FigÂuren sind nur in ihren KonÂturen angedeutet, haben keine Gesichter. FerÂdiÂnand Gehr erregte mit ähnÂlichen PerÂsoÂnÂenÂdarstelÂlunÂgen in der BrudÂer Klaus-Kirche von OberÂwil bei Zug gegen Ende der 1950er Jahre viel ÄrgÂerÂnis. In Suhr – ein paar Jahre später – blieb ein SkanÂdal aus.Zurück im Freien wenÂden wir uns nochmals dem hohen KirchÂturm direkt an der Strasse zu. «Der CamÂpanile hatÂte bei seinÂer ErrichÂtung noch keinen VerÂputz», erkÂlärt Reto NussÂbaumer. ZiemÂlich bald aber hätÂten sich SchäÂden im Beton gezeigt, weshalb die FasÂsade angepasst worÂden sei. «MitÂtlerÂweile hat man neues WisÂsen über Beton und diskuÂtiert mit der KirchgeÂmeinde darüber, dem Turm seine ursprüngliche ErscheiÂnÂung aus SichtÂbeÂton wiederzugeben, verÂrät der leiÂtÂende kanÂtonale Denkmalpfleger. «Das würde viel bessÂer zum GesamterÂscheiÂnÂungsÂbild der Suhrer KirchenanÂlage passen.»
NächÂste FolÂgen der SomÂmerserie:
MonÂtag, 31. Juli: Kirche St. Johannes in Buchs (Teil 3)
DonÂnerÂstag, 3. August: St. Anton WetÂtinÂgen (Teil 4)
BishÂer erschienen:
Der dopÂpelÂteilige AufÂtakt:
Aarau, Peter und Paul; EnnetÂbaden St. Michael