
Das Evangelium tanzen
Seit Beginn des Christentums haben Menschen nach Wegen gesucht, die frohe Botschaft zu vermitteln. Sie taten und tun es, indem sie den Text lesen und Vers für Vers reflektieren, die Szenen auf Bildern malerisch darstellen oder das Gelesene musikalisch umsetzen. Der Jesuitenpater Saju George Dr. Moolamthuruthil hat eine besondere Art der Vermittlung für das Evangelium gefunden: den klassischen indischen Tanz.
Die Evangelien sind voller starker Bilder
Die Evangelien erzählen mit starken «Wort»-Bildern die Geschichte Jesu. Wir alle haben sicherlich direkt eine Szene vor uns, wenn wir an die Evangelien denken. Für Pater Saju ist das ein Zeichen dafür, dass wir den Text mit unserem inneren Auge wahrnehmen. Der Bibel näher zu kommen ist nicht nur eine rein intellektuelle Angelegenheit. Wir nehmen in uns bewegte Bilder wahr. Pater Saju gibt diesen inneren Bildern durch Tanz einen Ausdruck. Er personifiziert die Beteiligten, schlüpft in verschiedene Rollen, kehrt das aus der biblischen Erzählung heraus, was in der Tanzterminologie der «Subtext» genannt wird. Er interpretiert den Bibeltext sozusagen durch eine besondere Sprache. Aber welche Sprache ist das?
Eine Tanzsprache mit eigener Grammatik
Pater Saju stammt aus Indien. Der indische klassische Tanz, der dort eine wichtige Rolle spielt, hat eine traditionsreiche Text- und Gebärdensprache, mit der die Menschen Geschichten zum Leben erwecken. Es handelt sich dabei um richtige Codes, die in einem über 2000 Jahre alten Werk, der Natya Shastra aufgeschrieben wurden. Sie ist eine Art Grammatik unter anderem für Tanz, Schauspiel und Musik. Der Tanz hat einen hinduistischen Hintergrund. Aber die einzelnen Elemente, wie die Gesten und die Körperbewegungen, bilden die Grundlage für eine Sprache, die jede und jeder lernen kann. Wir können uns das wie eine Art Werkzeugkasten für Gesten und Bewegungen vorstellen, aus dem alle Menschen schöpfen und sie in einem neuen Kontext nutzen können. So kann jeder Mensch damit die eigenen Gedanken ausdrücken oder eine Botschaft teilen. Das bedeutet aber auch: Wenn wir diese Sprache nicht verstehen, dann ist es schwierig, beim Zuschauen zu begreifen, was die Tanzenden ausdrücken.
Pater Saju macht daher, wenn möglich, vor seinen Auftritten einen kleinen Workshop mit den Zuschauenden, in dem sie einige Gesten kennenlernen. Das öffnet den Menschen die Möglichkeit, Parallelen zur eigenen Kultur zu erkennen und gleichzeitig Bekanntes mit dem Blick einer anderen Kultur wahrzunehmen.
Traditionell indisch und trotzdem auf den Spuren des Ignatius von Loyola
Pater Saju ist Jesuit. Für ihn passen der indische traditionelle Tanz und die Lehre des heiligen Ignatius von Loyola, der den Jesuitenorden begründet hat, gut zusammen. St. Ignatius ruft die Menschen auf, sich in ihrer Meditation und Kontemplation in die Situation einer Erzählung hineinzuversetzen und dabei alle Sinne zu nutzen. Wenn wir beispielweise über die Geburt Jesu meditieren, sollen wir uns nach Bethlehem versetzen. Wer ist dort? Jesus, Maria, Josef, Stalltiere, andere Menschen. Was riechen wir? Vielleicht Kuhdung. Was hören wir? Vielleicht Jesus, der schreit. Und dasselbe tut Pater Saju durch seinen Tanz. Ihr seid gespannt auf ein konkretes Beispiel einer Bibelerzählung und die Erklärung von Pater Saju, wie er sie umsetzt? Dann lest hier weiter!
«Diese Kunstform sehe ich als ein Mittel, um mehr Frieden, mehr Harmonie, mehr Entgegenkommen, mehr Akzeptanz und mehr Zusammenarbeit zu fördern. Und um all diese von Menschen gemachten Trennlinien zu überwinden. Das ist mein tiefster Wunsch. Darum sage ich auch immer zu meinen Studentinnen, zu meinen Tänzern: Entwickelt diese innere Haltung. Werdet Boten des Friedens und der Harmonie. Pater SajuPater Saju
Pater Saju stellt nicht nur Evangelien durch Tanz dar, sondern auch die Geschichten von Heiligen. Sein nächstes Projekt ist Bruder Klaus, der wohl bekannteste Heilige der Schweiz!