Das eige­ne Gewis­sen sagt, wo es langgeht

Das eige­ne Gewis­sen sagt, wo es langgeht

Deu­te­ro­no­mi­um 18, 15–20Mose sprach zum Volk: Einen Pro­phe­ten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus dei­ner Mit­te, unter dei­nen Brü­dern, erste­hen las­sen. Auf ihn sollt ihr hören. Der Herr wird ihn als Erfül­lung von allem erste­hen las­sen, wor­um du am Horeb, am Tag der Ver­samm­lung, den Herrn, dei­nen Gott, gebe­ten hast, als du sag­test: Ich kann die ­don­nern­de Stim­me des Herrn, mei­nes Got­tes, nicht noch ein­mal hören und die­ses gros­se Feu­er nicht noch ein­mal sehen, ohne dass ich sterbe.Damals sag­te der Herr zu mir: Was sie von dir ver­lan­gen, ist recht. Einen Pro­phe­ten wie dich will ich ihnen mit­ten unter ihren Brü­dern erste­hen las­sen. Ich will ihm mei­ne Wor­te in den Mund legen, und er wird ihnen alles sagen, was ich ihm auftrage.Einen Mann aber, der nicht auf mei­ne Wor­te hört, die der Pro­phet in mei­nem Namen ­ver­kün­den wird, zie­he ich selbst zur Rechen­schaft. Doch ein Pro­phet, der sich anmasst, in mei­nem Namen ein Wort zu ver­kün­den, des­sen Ver­kün­di­gung ich ihm nicht aufge­tragen habe, oder der im Namen ande­rer Göt­ter spricht, so ein Pro­phet soll sterben.Ein­heits­über­set­zung 

Das eige­ne Gewis­sen sagt, wo es langgeht

Wenn ich mit jun­gen Frau­en über ihre Ent­schei­dung über eine Abtrei­bung gespro­chen habe (vor­her sel­ten, nach­her öfter), wenn ich mit krebs­kran­ken oder depres­si­ven Men­schen über Sui­zid nach­ge­dacht habe (oft), wenn mich alte Leu­te in ihre Plä­ne zum Ver- oder Ent­er­ben ein­ge­weiht haben, wenn mich Män­ner (sel­ten) oder Frau­en (häu­fig) nach mei­ner Mei­nung zur Ehe­schei­dung gefragt haben, … dann habe ich mei­stens zuge­hört und nach­ge­fragt, habe über­se­he­ne Aspek­te zur Spra­che gebracht, habe mit ihnen den Hori­zont ihrer Fra­gen aus­ge­leuch­tet, habe Ver­ständ­nis für ihre Gewis­sens­not zum Aus­druck gebracht und, wenn Raum dafür war, gefragt, wel­chen Ein­fluss ihr Glau­be auf ihre Ent­schei­dung habe. Hier und da habe ich so tat­säch­lich Men­schen hel­fen kön­nen, ihren Weg zu fin­den und mit sich im Rei­nen zu sein.Aber es ist mir nie in den Sinn gekom­men, jeman­dem zu sagen, was Gott von ihm oder ihr erwar­tet. Ich bin kein Pro­phet, dem Gott sagt, was ich ande­ren wei­ter­sa­gen soll. Ich bin ein Bera­ter, der hilft, Ord­nung in das Cha­os einer auf­ge­wühl­ten See­le zu brin­gen. Das geht nur, wenn ich ohne eige­ne Inter­es­sen bin in die­sem Fall, wenn ich für ehr­lich und dis­kret gehal­ten wer­de und dem ande­ren nicht vor­schrei­be, wie ihre oder sei­ne Ent­schei­dung aus­zu­se­hen hat. Mit Glaub­wür­dig­keit hat das viel zu tun, mit Auto­ri­tät nichts.Obwohl – manch­mal wäre es recht bequem, wenn man die Fra­ge nach der rich­ti­gen Ent­schei­dung an eine ver­ant­wort­li­che Instanz dele­gie­ren könn­te. «Sag mir, was ich tun muss, damit ich sicher bin, alles rich­tig gemacht zu haben!» Eine Auto­ri­tät nimmt mir die Ent­schei­dung ab und schreibt mir mein Ver­hal­ten vor. Ich ord­ne mich unter und gehor­che, dafür muss ich mir kei­ne wei­te­ren Gedan­ken über rich­tig und falsch machen. Ob das Volk Isra­el in der Wüste Sinai tat­säch­lich eine sol­che Auto­ri­tät gefor­dert (gebe­ten, sagt der Text) hat, weiss ich nicht, kann aber sein. Wenn einer mit Auto­ri­tät aus­ge­stat­tet ist und sagt, wo man lang­ge­hen muss, kann das in Gemein­we­sen und Völ­ker­ge­mein­schaf­ten bes­ser sein, als sich in end­lo­sen Dis­kus­sio­nen zu zer­flei­schen und zu kei­ner gemein­sa­men Ent­schei­dung zu kom­men. Viel­leicht hat ja Moses mit sei­ner Ankün­di­gung geschickt eine nicht hin­ter­frag­ba­re Instanz geschaf­fen, aus­ge­stat­tet mit gött­li­cher Legi­ti­ma­ti­on und Macht­fül­le bis hin zum ­Todes­ur­teil für Abweich­ler und Geg­ner.Ähn­li­che Auto­ri­tät hat auch die Kir­che bean­sprucht, ganz im Sin­ne des deuteronomis­tischen Tex­tes. Vie­le, die ande­res als die offi­zielle Lehr­mei­nung ver­kün­det haben, sind auf Schei­ter­hau­fen ver­brannt wor­den, vie­le, die unge­hor­sam waren und eige­ne Wege beschrit­ten, haben dafür mit ihrem Leben bezahlt, spä­ter wur­den sie «nur noch» aus­ge­schlos­sen aus Kir­che, Fried­hof und Him­mel. Es ist gut, dass Moses der Ver­gan­gen­heit ange­hört.Aller­dings wird das eige­ne Leben schwie­ri­ger, wenn man sein Tun und Las­sen selbst ver­ant­wor­ten muss. Das Mit­ein­an­der wird auch kom­pli­zier­ter, weil es ver­schie­de­ne Wege gibt, die aner­kannt mög­lich sind. Und das Gewis­sen muss man auch selbst tra­gen. Trotz­dem lohnt der eige­ne Weg. Viel­leicht hilft ja manch­mal ein Bera­tungs- oder Beicht­ge­spräch.Lud­wig Hesse
Redaktion Lichtblick
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