Corin­ne Dobler bringt die Kir­che in die Beiz

  • Nach den geschäf­ti­gen Fei­er­ta­gen kön­nen auch die Wir­te ins Janu­ar­loch fal­len. Als Gast­ro­seel­sor­ge­rin steht Corin­ne Dobler dann gern für ein Gespräch zur Verfügung
  • Die Gast­ro­seel­sor­ge ist öku­me­nisch aus­ge­rich­tet und steht in regem Kon­takt mit GastroAargau.
  • Vie­le Gastro­be­trie­be kämp­fen ums Über­le­ben. Als «see­li­sche Anker­plät­ze für ihre Gäste» benö­ti­gen dar­um auch die Wir­te jeman­den, der sich ihre Sor­gen anhört.
 Für vie­le Wir­te ist der Janu­ar ein unbe­lieb­ter Monat. Hin­ter ihnen liegt die Gemüt­lich­keit der Weih­nachts- und Sil­ve­ster­fei­er­ta­ge im Krei­se der Fami­lie oder mit Freun­den im Restau­rant. Mit den Fei­er­ta­gen geht für vie­le Gastro­no­men zudem die umsatz­stärk­ste Zeit des Jah­res zu Ende. Im Janu­ar gibt es auf ein­mal viel Raum und Zeit, und es kön­nen Sinn­fra­gen auf­tau­chen. In die­sen Tagen sucht Corin­ne Dobler gern die Wir­te auf, weil sich dann Gele­gen­hei­ten erge­ben für tie­fe Gesprä­che. Die 40-Jäh­ri­ge ist seit vier Jah­ren in einem Teil­pen­sum Gast­ro­seel­sor­ge­rin der Refor­mier­ten Lan­des­kir­che Aar­au.

In der Beiz aufgewachsen

Wer Corin­ne Dobler das erste Mal sieht, staunt, eine Pfar­re­rin vor sich zu haben. Mit ihrer fre­chen oran­ge-roten Fri­sur und ihren Pier­cings fällt sie sofort auf. Corin­ne Dobler, die seit 11 Jah­ren Pfar­re­rin der refor­mier­ten Kirch­ge­mei­ne Brem­gar­ten-Mut­schel­len ist, über­nahm ein Amt mit beweg­ter Geschich­te: Die Gast­ro­seel­sor­ge wur­de in den 1950er Jah­ren gegrün­det. Weil die mei­sten Restau­rants sonn­tags geöff­net haben und die Wir­te den Got­tes­dienst nicht besu­chen kön­nen, gab es für Wir­te Ein­kehr­ta­ge an Wochen­ta­gen und ein Wir­te­seel­sor­ger ging bei ihnen im Restau­rant vor­bei.Für ihre Tätig­keit bringt Corin­ne Dobler idea­le Vor­aus­set­zun­gen mit: Den All­tag und die Sor­gen von Men­schen im Gast­ge­wer­be kennt sie seit ihrer Kind­heit. Ihr Vater war Koch in einem Alters­heim, die Mut­ter war Ser­vier­toch­ter im Restau­rant «Lin­de» in Tur­ben­thal, wo Corin­ne Dobler auf­wuchs. «Ich habe es als Kind geliebt, wenn mei­ne Mut­ter nach der Arbeit nach Restau­rant roch», erin­nert sich Corin­ne Dobler. Im Stu­di­um an der Uni­ver­si­tät Zürich kon­ver­tier­te sie vom Katho­li­zis­mus zur refor­mier­ten Kir­che, «weil ich immer Pfar­re­rin sein woll­te. Ich möch­te pre­di­gen, tau­fen und beer­di­gen. Das ist genau mein Ding.»

Weder Ver­tre­te­rin, noch Dealerin

Als Wir­te-Seel­sor­ge­rin ist Corin­ne Dobler nahe bei den Men­schen. Wenn sie erst­mals ein Restau­rant betritt, muss sie jedoch eine Hür­de mei­stern, die es in sich hat: Sie muss dem Wirt ver­ständ­lich machen, dass sie ihm kein Pro­dukt andre­hen möch­te. Corin­ne Dobler: «Die krie­gen oft Besuch von Ver­tre­tern, die ihnen Staub­sauger oder Kaf­fee­ma­schi­nen ver­kau­fen möch­ten». Meist stau­nen die Bei­zer, wenn sie ein­fach nur gefragt wer­den, wie es ihnen geht.Ihr unkon­ven­tio­nel­les Erschei­nungs­bild sei, so Corin­ne Dobler, meist ein Vor­teil, um mit ande­ren in Kon­takt zu kom­men. In einer Bar, erin­nert sie sich lachend, sei sie jedoch bei ihrem Antritts­be­such für eine Dea­le­rin gehal­ten und bei­na­he raus­ge­schmis­sen wor­den.Bei ihrer Arbeit als Gastro-Seel­sor­ge­rin nimmt sie auch wahr, wie sehr sich die reli­giö­se Land­schaft im Aar­gau in den letz­ten Jah­ren ver­än­dert hat. Älte­ren Wir­ten sei es ein Anlie­gen, dass «die Kir­che» bei ihnen zu Gast ist. «Bei Neu­eröff­nun­gen wün­schen sie von ihr den Segen oder ein Gebet», betont die Gast­ro­seel­sor­ge­rin. Bei Jün­ge­ren fin­de sie sel­ten mehr einen engen Bezug zur Kir­che. Die­je­ni­gen aber, die sie vom Netz von Gast­ro­seel­sor­ge Aar­gau her ken­nen, wo sie sich enga­giert, «fin­den mei­ne Arbeit cool»

Unter­stüt­zung bei bela­sten­den Situa­tio­nen im Beizen-Kanton

Heu­te fühlt sich Corin­ne Dobler in der Bei­zen-Sze­ne als Pfar­re­rin ganz akzep­tiert. Den­noch fra­gen man­che: Braucht es über­haupt eine Gast­ro­seel­sor­ge­rin? Corin­ne Dobler weiss jedoch sehr wohl, war­um sie gefragt ist. «Der Aar­gau ist noch immer ein Bei­zen-Kan­ton. Aber 65 Pro­zent aller Betrie­be sind defi­zi­tär. Es wird des­halb zu vie­len Schlies­sun­gen kom­men. Die­se Situa­ti­on lastet sehr auf den Wir­ten und dem Ser­vice­per­so­nal.»Corin­ne Dobler kennt im Aar­gau vie­le Wir­te, die den Trend spü­ren, dass sich immer mehr Leu­te am Take away-Stand oder in einem Fast­food-Laden ihr Essen besor­gen. Wenn ein Wirt ihr von sei­nen Sor­gen erzählt, fühlt sich Corin­ne Dobler manch­mal auch hilf­los. «Ich kann die Pro­ble­me nicht lösen, doch ich kann zuhö­ren und dazu bei­tra­gen, eine Situa­ti­on bes­ser zu ertra­gen», sagt sie.

«Die Wir­te brau­chen auch Aufmerksamkeit»

Nicht sel­ten fun­gie­ren Wir­te selbst als see­li­sche Anker­plät­ze für Gäste. Des­halb, so Corin­ne Dobler, sei es so wich­tig, dass auch ihnen zuge­hört wer­de. Auch Micha­el Bre­wer, der Inha­ber des Cafés «Some­thing Spe­cial» in der Alt­stadt von Brem­gar­ten, schätzt den Besuch der Gast­ro­seel­sor­ge­rin. Sein Laden, in dem es neben Kaf­fee und Pra­li­nen auch ein brei­tes Sor­ti­ment an Wohn­ac­ces­soires, Vin­ta­ge-Arti­keln und Anti­qui­tä­ten gibt, läuft gut. Doch auch er ken­ne, so der cha­ris­ma­ti­sche Laden­in­ha­ber, Zei­ten, in denen das Geschäft manch­mal har­ze.Corin­ne Dobler hat auch ein offe­nes Ohr für Köche und das Ser­vice-Per­so­nal. Oft müs­sen sie bis tief in die Nacht arbei­ten, was sich nicht nur auf die Gesund­heit, son­dern auch auf Bezie­hun­gen bela­stend aus­wir­ken kann. Sie sagt: «Ich kom­me immer wie­der mit Men­schen ins Gespräch, die nach dem Sinn, nach dem Gött­li­chen fra­gen.» Manch­mal spricht die jun­ge Pfar­re­rin zum Abschied ein Segens­gruss. «Das berührt die Leu­te meist sehr», sagt sie.

«Wir­te und Kir­che bie­ten Hei­mat und Geborgenheit» 

Corin­ne Dobler bezeich­net sich selbst als spi­ri­tu­el­len Men­schen. Kraft tankt sie bei ihren Medi­ta­tio­nen zu Hau­se oder im Wald. «Ich besin­ne mich dann dar­auf, dass wir mehr sind als ein end­li­ches Wesen. Wir alle haben eine unsterb­li­che See­le.»Die jun­ge Pfar­re­rin, die Theo­lo­gie stu­diert hat, weil sie der «Ewig­keit, dem Gött­li­chen und dem Unver­gäng­li­chen» auf den Grund gehen woll­te, setzt sich oft mit der Fra­ge aus­ein­an­der, wie sie die­se Welt der­einst ver­las­sen möch­te. Sie sagt: «Respekt gegen­über Gott und sei­ner Schöp­fung, Lie­be zu den Mit­men­schen und zu sich selbst zu leben, ist mir wich­tig. Dar­um geht es im Chri­sten­tum.» Auch des­halb gefällt ihr der Gedan­ke so, dass die Kir­che zu den Men­schen gehen muss, wie es Corin­ne Dobler als Gast­ro­seel­sor­ge­rin tut. Die refor­mier­te Pfar­re­rin bedau­ert jedoch, dass es nur noch weni­ge Gast­ro­seel­sor­ger gibt. Mit Wir­ten teilt die Pfar­re­rin näm­lich eine Gemein­sam­keit: «Wir bie­ten vie­len Men­schen Gebor­gen­heit und Hei­mat, die sie anders­wo viel­leicht nicht finden.»
Andreas C. Müller
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