Buch­au­tor Pierre Stutz spricht am 6. März in der Bas­ler Predigerkirche

Buch­au­tor Pierre Stutz spricht am 6. März in der Bas­ler Predigerkirche

Vom Wut- zum Mut­bür­ger werden

Buch­au­tor Pierre Stutz spricht am 6. März in der Bas­ler Predigerkirche

Der Theo­lo­ge Pierre Stutz hat ein Buch über die spi­ri­tu­el­le Bot­schaft von Ärger, Wut und Zorn geschrie­ben und trifft damit den Zeit­geist. In die­sen Urkräf­ten liegt aber auch jede Men­ge Poten­zi­al. Im Inter­view erläu­tert Pierre Stutz die­se These.Pierre Stutz, in Ihrem Buch «Lass dich nicht im Stich» spre­chen Sie von einer geer­de­ten Spi­ri­tua­li­tät. Was macht einen spi­ri­tu­el­len Umgang mit Ärger, Wut und Zorn aus? Pierre Stutz: In die­sen Urkräf­ten, die sehr zer­stö­re­risch sein kön­nen, liegt auch eine hei­len­de gött­li­che Kraft. Mir geht es dar­um, die­se Kraft frei­zu­le­gen. Ich gehe davon aus, dass sich Got­tes Lebens­kraft, die uns alle beseelt, in der Kraft der Empö­rung, des Zorns ereig­net. Die­ser Pro­zess des Frei­le­gens und die damit ver­bun­de­ne Arbeit an sich selbst ist für mich ein spi­ri­tu­el­ler Umgang mit Ärger, Wut und Zorn, der den destruk­ti­ven Kräf­ten eine posi­ti­ve Wen­dung gibt.Vie­le ticken aber doch eher ichbezogen … Die Hal­tung «Ich muss gut über die Run­den kom­men» neh­me ich in der spi­ri­tu­el­len Beglei­tung wahr. Wie kann ich gut für mich sor­gen? Zugleich ist zu beob­ach­ten, dass die ande­re Fra­ge nach der Sehn­sucht nach Frie­den und mehr Gerech­tig­keit, die in jedem Men­schen schlum­mert, mehr und mehr in den Hin­ter­grund tritt. Den­noch gärt die­se Fra­ge in uns wei­ter, denn sie ver­schwin­det nicht. Die Grund­kraft Aggres­si­on und Wut, ohne die wir nicht leben kön­nen, wird klein­ge­hal­ten, bis sie gar nicht mehr wahr­ge­nom­men wird. Aller­dings bie­ten die­se Grund­kräf­te Poten­zi­al für neue Hori­zon­te. Das ist mei­ne The­se in dem Buch.Sie sagen, ech­te Selbst­an­nah­me ist der Schlüs­sel für eine fried­vol­le­re Welt. Wie und wo fin­de ich die­sen Schlüs­sel zur Selbstannahme? Das ist mein Weg, für den ich lan­ge gebraucht habe, ihn zu fin­den. Dabei set­ze ich auf mein Poten­zi­al, indem ich noch mehr zu mei­ner Stär­ke ste­he. Ich nen­ne das, die Angst vor der eige­nen Grös­se ver­lie­ren, ohne grös­sen­wahn­sin­nig zu wer­den. Das ist eine nie enden­de Auf­ga­be, Wege zu fin­den, in die eige­ne Kraft hin­ein­zu­ge­hen, ohne sich zugleich abso­lut zu set­zen, wie das fun­da­men­ta­li­sti­scher Ter­ro­ris­mus tut.Ist das mit dem Buch­ti­tel «Lass dich nicht im Stich» gemeint? «Lass dich nicht im Stich» meint, habe den Mut zu dem zu ste­hen, was du kannst. Jesu­a­nisch gespro­chen: Stell dich in die Mit­te. Das ande­re ist, zu ler­nen, mit mei­nen nicht geleb­ten Bedürf­nis­sen, die ein tie­fe­rer Grund des Ärgers sind, kon­struk­tiv umzu­ge­hen. Ich ärge­re mich oder wer­de im Extrem­fall zor­nig, wenn ein Grund­be­dürf­nis von mir ver­nach­läs­sigt wird. So gese­hen ist die Selbst­an­nah­me nicht nur etwas Schö­nes, son­dern bedeu­tet auch, mich mit mei­nen Schat­ten­sei­ten, mit mei­ner Ver­wund­bar­keit, mit mei­nen Lei­chen im Kel­ler anzu­freun­den, um mich nicht von ihnen unbe­wusst bestim­men zu las­sen.Wie kann eine kon­struk­ti­ve Inte­gra­ti­on von Aggres­si­on aussehen? Grund­hal­tung ist, mir die­se Gefüh­le zu erlau­ben. Sie gehö­ren zu unse­rem Leben. Sie sind Aus­druck mei­ner Leben­dig­keit. Fromm aus­ge­drückt sind sie Aus­druck der Lebens­kraft Got­tes in mir. Lie­bend unter­wegs sein, heisst immer wie­der, Ärger, Wut, Zorn zu spü­ren und sie mir zu erlau­ben. Das tönt so ein­fach, ist aber mein jah­re­lan­ger Weg. Heu­te hat wie­der ein spi­ri­tu­el­ler Lei­stungs­druck Ober­was­ser. Wür­de ich noch ein biss­chen mehr medi­tie­ren, wür­de ich mehr und mehr in der Balan­ce sein. Das A und O mei­ner Bücher ist aber, das Glück der Unvoll­kom­men­heit im Auge zu behal­ten und zu ein­zu­üben, lie­bend mit­ten im Leben zu ste­hen. Das heisst, stau­nen, aus­flip­pen, dan­ken kön­nen, und das heisst, die­se Zer­bro­chen­heit, den Schmerz über die Unge­rech­tig­kei­ten noch inten­si­ver wahr­neh­men. Das fas­zi­niert mich und das wol­len vie­le heu­te nicht hören.Was hat das alles mit Reli­gi­on zu tun? Hans Küng bringt es mit der gol­de­nen Regel als kon­sti­tu­ti­ves Ele­ment jeder Reli­gi­on auf den Punkt, wenn er mit sei­nem Welt­ethos­kon­zept sagt: Kein Frie­den in der Welt ohne Frie­de unter den Reli­gio­nen. Der unend­li­che Flücht­lings­strom hat mit der gros­sen Schat­ten­sei­te der Mensch­heit zu tun. Jede und jeder hat das Grund­be­dürf­nis nach Frie­den, Sicher­heit und Hei­mat, ohne die nie­mand leben kann. Auf­grund der inne­ren Stim­me, die Gerech­tig­keit ein­for­dert, kommt unglaub­li­cher Ärger und gros­se Wut dazu, die zur Frie­dens­kraft wird. Empört euch! Die­ses klei­ne Büch­lein hat Ste­fan Hes­se im Alter von 90 Jah­ren geschrie­ben und damit sehr vie­le jun­ge Leu­te erreicht. Ich tei­le sei­ne Bot­schaft: Empört euch nicht jeden Tag über alles – das lähmt –, son­dern wäh­le einen Empö­rungs­grund, ein The­ma aus, das dir nahe ist und auf den Nägeln brennt. Da gehe in dei­ne Kraft rein. Das hat für mich etwas mit Gott zu tun. Etty Hil­le­sum bringt es als 29-jäh­ri­ge jüdi­sche Frau im KZ auf den Punkt. 1943 schreibt sie in ihr Tage­buch: Heu­te wird mir klar, dass du, Gott, mir nicht hel­fen kannst, denn wir müs­sen dir hel­fen, um die Frie­dens­kraft in uns zu ver­tei­di­gen. In die­ser Sicht kann ich als mün­di­ger Mensch Eigen­ver­ant­wor­tung über­neh­men. Ich bin dann ein Kom­pli­ze Got­tes.Inter­view: Wolf Südbeck-BaurPierre Stutz (65) stammt aus dem Aar­gau und lebt in Lau­sanne. Der katho­li­sche Theo­lo­ge und ehe­ma­li­ge Prie­ster ist Autor von über 40 Büchern, hält Vor­trä­ge und lei­tet Kur­se. «Aufbruch«-Veranstaltung mit Pierre Stutz in Basel: Diens­tag, 6. März, 19 Uhr, Pre­di­ger­kir­che, Toten­tanz 19.
Redaktion Lichtblick
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