Brugg fei­ert Ostern mit wie­der­ent­deck­ter Messe

Brugg fei­ert Ostern mit wie­der­ent­deck­ter Messe

  • Über 300 Jah­re ruh­ten die Noten der «Mis­sa Due» von Gio­van­ni Bat­ti­sta Bassa­ni im Archiv. 
  • Durch Zufall gelang­ten sie aus Boli­vi­en in die Hän­de von Kir­chen­mu­si­ker und Chor­lei­ter Giu­sep­pe Raccuglia.
  • Pas­send zu Ostern darf die­se wun­der­ba­re Musik nun zu neu­em Leben erwa­chen.

Wenn am Oster­sonn­tag um 11 Uhr der Kir­chen­chor in der Brug­ger St. Niko­laus-Kir­che das Kyrie anstimmt und Posau­nen erschal­len, dann erklingt Musik, die in der Schweiz mit gros­ser Wahr­schein­lich­keit noch nie oder seit 300 Jah­ren nie mehr auf­ge­führt wur­de. Es ist die «Mis­sa Due» des ita­lie­ni­schen Barock­kom­po­ni­sten Gio­van­ni Bat­ti­sta Bassa­ni (zir­ka 1650–1716). Er war Kapell­mei­ster am Dom von Fer­ra­ra und spä­ter an der Basi­li­ka San­ta Maria Mag­gio­re in Ber­ga­mo und kom­po­nier­te neben Mes­sen und Mot­te­ten auch Opern und Ora­to­ri­en. Die mei­sten davon sind ver­schol­len. Erhal­ten geblie­ben ist jedoch eine Samm­lung von sechs Mes­sen, die 1709 in Augs­burg unter dem Titel «Acro­ama Mis­sa­le» gedruckt wur­de. Dazu gehört auch die «Mis­sa Due».

Im Dun­kel der Geschichte

Ob und wo die­se Mes­sen von Gio­van­ni Bat­ti­sta Bassa­ni in Euro­pa je auf­ge­führt wur­den, liegt im Dun­kel der Geschich­te. Belegt ist hin­ge­gen, dass sie nach 1730 in den Jesui­ten­mis­sio­nen im Tief­land von Boli­vi­en in Süd­ame­ri­ka erklan­gen (sie­he Kasten unten). In der Alten Welt wird von den 300 Jah­re alten Noten ein Exem­plar in der Baye­ri­schen Staats­bi­blio­thek auf­be­wahrt und eines in der Samm­lung der All­ge­mei­nen Musik­ge­sell­schaft AMG in der Zen­tral­bi­blio­thek Zürich, wo vie­le Wer­ke von Bassa­ni zu fin­den sind. Zudem ist eine Abschrift im Nach­lass von Johann Seba­sti­an Bach bekannt. Es han­delt sich, so schätzt es der Brug­ger Kir­chen­mu­si­ker Giu­sep­pe Raccu​glia ein, um sehr aus­ser­ge­wöhn­li­che Musik.

«Ein­ma­li­ge Musik»

«Ich fin­de die­se Musik ein­fach ein­ma­lig», sagt er begei­stert. Das moti­vier­te Rac­cu­glia, aus­ge­bil­det an den Musik­hoch­schu­len von Paler­mo und Frei­burg im Breis­gau und seit 2014 in Brugg tätig, die Noten der «Mis­sa Due» neu auf­zu­be­rei­ten auf der Basis des Ori­gi­nals, das als Fak­si­mi­le im Inter­net ver­füg­bar ist. «Eine tol­le Arbeit» nennt es Rac­cu­glia: «Es ist doch wun­der­bar, wenn du Musik vor dir hast, die vor dir seit dem 18. Jahr­hun­dert sehr wahr­schein­lich nie­mand mehr gehört hat.» 

Eine auf­wen­di­ge Arbeit aber auch. Dass das Noten­bild des Ori­gi­nals kom­plett anders aus­sieht als die heu­ti­ge Nota­ti­on, war noch das klein­ste Pro­blem. Nein, Rac­cu­glia muss­te die gan­ze Mes­se mit allen Chor‑, Solo- und Instru­men­tal­stim­men von Grund auf und Schritt für Schritt neu auf­bau­en. Denn publi­ziert wur­den die Wer­ke damals nur in Ein­zel­stim­men, nicht auch als Par­ti­tur mit allen Stim­men. «Ich habe also zuerst die Bass­li­nie, den soge­nann­ten Gene­ral­bass, tran­skri­biert und dann Stim­me um Stim­me hin­zu­ge­fügt und immer wie­der kon­trol­liert, ob auch alles zusam­men­passt», erläu­tert Raccuglia. 

Er hat dabei auch eini­ge weni­ge Feh­ler in den Noten ent­deckt und sie aus­ge­bü­gelt. Die Stim­men über­trug Rac­cu­glia nicht hand­schrift­lich, das hät­te viel zu lan­ge gedau­ert. Dafür gibt es heu­te spe­zi­el­le Com­pu­ter­pro­gram­me, wel­che die Ein­ga­ben mit­tels einer soge­nann­ten Midi­ta­sta­tur und Maus direkt am Bild­schirm in Noten umset­zen. Auch so kamen für die Auf­be­rei­tung der «Mis­sa Due» fünf­zig Stun­den Arbeit zusam­men – «min­de­stens», lacht Raccuglia.

Ein­gän­gig, tänzerisch

Der Brug­ger Kir­chen­mu­si­ker ist über­zeugt, dass die Mes­sen von Gio­van­ni Bat­ti­sta Bassa­ni sehr geeig­net sind für ambi­tio­nier­te Kir­chen­chö­re. «Die­se Musik ist sehr trans­pa­rent, ja kri­stall­klar. Es sind ein­fa­che Har­mo­nien und ein­gän­gi­ge Melo­dien.» Ein­zel­ne Tei­le der «Mis­sa Due» haben gar etwas Tän­ze­ri­sches an sich, und man ist fast ver­sucht mit­zu­pfei­fen. Kommt dazu, dass Chö­re und Begleit­ensem­bles die Mes­sen aus der «Acro­ama Mis­sa­le» fle­xi­bel ihren stimm­li­chen und instru­men­ta­len Mög­lich­kei­ten anpas­sen kön­nen. So kann zum Bei­spiel pro­blem­los auf die Posau­nen ver­zich­tet werden. 

Von den Wer­ken Bassa­nis sei­en erst Bruch­stücke des Gesamt­werks auf­ge­ar­bei­tet und neu publi­ziert wor­den, stell­te der Musik­wis­sen­schaft­ler Richard Hasel­bach in sei­ner Dok­tor­ar­beit über den Kom­po­ni­sten, 1955, fest. Seit­her hat sich dar­an nicht viel geän­dert: «Das mei­ste harrt noch als unge­ho­be­ner Schatz in den Kam­mern der Biblio­the­ken.» Einen Teil die­ses Schat­zes auf­er­ste­hen zu las­sen, hat sich nun Giu­sep­pe Rac­cu­glia zur Auf­ga­be gemacht. Noch vor der Schwei­zer Erst­auf­füh­rung der «Mis­sa Due» hat er begon­nen, eine zwei­te Bass­ani­mes­se auf­zu­ar­bei­ten. Die rest­li­chen vier Wer­ke aus der Samm­lung «Acro­ama Mis­sa­le» sol­len fol­gen und so inter­es­sier­ten Chö­ren all­ge­mein zugäng­lich gemacht wer­den. Wie hat­te es doch Bassa­nis Bio­graph Fran­ces­co Pasi­ni bereits 1905 geschrie­ben: «Gio­van­ni Bat­ti­sta Bassa­ni ist ein Künst­ler, der es ver­dien­te, bes­ser bekannt zu sein.»

In Euro­pa ver­ges­sen, in Boli­vi­en gefunden

Vor rund 40 Jah­ren kamen bei der Restau​rierung der Kir­chen in den ein­sti­gen Jesui­ten­mis­sio­nen im Tief­land von Boli­vi­en eini­ge Tau­send Noten­blät­ter aus dem 18. Jahr­hun­dert zum Vor­schein. Dar­un­ter befan­den sich auch die Par­ti­tu­ren von meh­re­ren Mes­sen. Musik­wis­sen­schaft­ler fan­den bald ein­mal her­aus, dass es sich dabei um bear­bei­te­te Ver­sio­nen der sechs Mes­sen aus der Samm­lung «Acro­ama Mis­sa­le» von Gio­van­ni Bat­ti­sta Bassa­ni handelte.

«Wir wis­sen nicht, wer die Noten nach Boli­vi­en brach­te», sagt der pol­ni­sche Stey­ler Mis­sio­nar und Musik­wis­sen­schaft­ler Piotr Naw­rot, bester Ken­ner der Barock­mu­sik aus den Jesui­ten­mis­sio­nen. Es waren wohl die Mis­sio­na­re selbst, mög­li­cher­wei­se sogar ein Schwei­zer. Der Baa­rer Jesui­ten­pa­ter Mar­tin Schmid wirk­te von 1730 bis 1767 im Gebiet der Chi­qui­tos-Indi­os. «In den Mis­sio­nen wur­den die Ori­gi­nal­par­ti­tu­ren von den indi­ge­nen Musi­kern ver­ein­facht und die schwie­rig­sten Tei­le gestri­chen», erläu­tert Naw­rot. So wur­de in der «Mis­sa Due», die an Ostern in Brugg auf­ge­führt wird, das Kyrie um rund die Hälf­te gekürzt und die im Ori­gi­nal vor­ge­se­he­nen Posau­nen fie­len weg.

Über­dies wur­den die Wer­ke umbe­nannt. Aus der «Mis­sa Uno» wur­de so die «Mis­sa San Xavier», aus der «Mis­sa Due» die «Mis­sa San­ta Ana». Es war eine Par­ti­tur der «Mis­sa San­ta Ana», die der Autor vor eini­gen Jah­ren von einer Boli­vi­en­rei­se mit­brach­te und Giu­sep­pe Rac­cu­glia über­gab, die beim Brug­ger Kir­chen­mu­si­ker die Begei­ste­rung für die Musik Bassa­nis weckte.

Christian Breitschmid
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