Brot für die Armen und Bil­der als Propaganda

  • Die katho­li­sche Kir­che erscheint vie­len Zeit­ge­nos­sen als rück­stän­dig. Mit ihrer anti­quier­ten Sexu­al­mo­ral und ihrer Hal­tung zum Frau­en­prie­ster­tum ver­mit­telt sie den Ein­druck, gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen hinterherzuhinken.
  • Doch das war nicht immer so. Für den Histo­ri­ker Vol­ker Rein­hardt hat sich die Kir­che im Lau­fe der Geschich­te mehr­fach als Vor­den­ke­rin und Vor­rei­te­rin hervorgetan.
  • Im Inter­view mit «forum Kir­che» erklär­te der eme­ri­tier­te Pro­fes­sor, wel­che gesell­schaft­li­chen Refor­men wir der katho­li­schen Kir­che verdanken.

Herr Rein­hardt, aus der Kir­che kamen im Lau­fe der Jahr­hun­der­te immer wie­der wich­ti­ge gesell­schaft­li­che Impul­se.
Ja, bereits um 600 n. Chr. ent­wickelt sie eine grund­le­gen­de Wirt­schafts­ethik, im 11. Jahr­hun­dert setzt sie sich für eine Ver­tie­fung des Chri­sten­tums ein, 1348 schrei­tet ein Papst mutig gegen die Ver­fol­gung von Juden ein, im 15. Jahr­hun­dert lei­tet das Papst­tum eine «Medi­en­re­vo­lu­ti­on» ein, Ende des 16. Jahr­hun­dert gelingt einer gelehr­ten Kir­chen­füh­rung die Durch­füh­rung einer Kalen­der­re­form und ab der Mit­te des 18. Jahr­hun­derts war­nen die Päp­ste vor einer zu posi­ti­ven Sicht des Frei­han­dels. [esf_wordpressimage id=48597 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Dan­ke für die­sen Über­blick. Begin­nen wir mit der Kir­che Ende des 6. Jahr­hun­derts.
Im anti­ken Rom gilt die Regel: Wer als Kai­ser poli­tisch über­le­ben will, muss die Unter­schicht der Mil­lio­nen­stadt Rom mit bil­li­gem Brot ver­sor­gen. Hun­ger ist der Nähr­bo­den für Auf­stän­de. Mit dem Nie­der­gang Roms über­neh­men die Päp­ste zuneh­mend die Auf­ga­ben des Kai­sers. Sie ver­sor­gen auch die Armen mit Brot, ver­bin­den dies aber mit einer neu­en christ­li­chen Ethik, die her­vor­hebt, dass Chri­stus den Armen näher­steht als den Rei­chen. Papst Gre­gor I. (590–604 n. Chr.) schreibt die­se Wirt­schafts­ethik für die klei­nen Leu­te fest. Sie ist bis heu­te eine Ver­pflich­tung für das Papsttum.

Wel­che Mit­tel hat die Kir­che dafür?
Die Kir­che ist um 600 bereits begü­tert. Sie hat durch Nach­läs­se Land bekom­men, das ihr Ertrag bringt. Papst Gre­gor I. kann aus eige­nen finan­zi­el­len Mit­teln das Brot bil­lig hal­ten. Das ist ein Leit­fa­den bis zum Ende der päpst­li­chen Sou­ve­rä­ni­tät im Jahr 1798. Die Päp­ste stecken über all die Jahr­hun­der­te Mil­li­ar­den­be­trä­ge in die Sub­ven­ti­on des Brotpreises.

Kann man dar­in eine Wur­zel der katho­li­schen Sozi­al­leh­re des 19. Jahr­hun­derts sehen?
Ja, die­se Ethik lebt in der katho­li­schen Sozi­al­leh­re fort. Die­se ist ein­ge­bet­tet in eine grös­se­re Ent­wick­lung. Im 18. Jahr­hun­dert kommt die Idee des Frei­han­dels auf. In Euro­pa bestehen zu die­ser Zeit über­all Han­dels­schran­ken. Bedeu­ten­de Öko­no­men wie Adam Smith (Schott­land) oder Anne-Robert-Jac­ques Tur­got (Frank­reich) ent­wickeln die Theo­rie, dass ein frei­er Welt­han­del Aus­gleich schaf­fen kann, wenn in einem Land die Ern­te schlecht aus­fällt.
Die­ser Ansatz ist grund­sätz­lich eine gute Idee, er bedarf aber einer sozia­len Abfe­de­rung. Dies sehen auch die Päp­ste so. Sie reagie­ren skep­tisch auf den Frei­han­del und beto­nen immer wie­der, dass der Zweck der Wirt­schaft der Schutz der Armen sei.

Was stos­sen die Kir­chen­obe­ren im 11. Jahr­hun­dert an?
Das ist das kühn­ste Pro­jekt, das die Kir­che jemals unter­nom­men hat. Geist­li­che und Kir­chen­füh­rer stel­len immer wie­der fest, dass der christ­li­che Glau­ben vor allem in länd­li­chen Gebie­ten nicht in die Tie­fe gedrun­gen ist, son­dern älte­re heid­ni­sche Vor­stel­lun­gen nur not­dürf­tig über­deckt hat. Die­se Ein­schät­zung stimmt wohl aus heu­ti­ger Sicht. Natür­lich fei­ert man auf dem Lan­de Got­tes­dien­ste und betet zu den Hei­li­gen, dahin­ter ver­ber­gen sich aber natur­ma­gi­sche Vor­stel­lun­gen. Es hat immer wie­der Ver­su­che gege­ben, Euro­pa wirk­lich christ­lich zu machen, aber mit wenig Erfolg. Im 11. Jahr­hun­dert wird die­ser Plan erst­mals kon­se­quent ver­folgt. Ab dem Reform­papst Gre­gor VII. (1073–1085) ver­sucht man das Chri­sten­tum in den All­tag zu trans­por­tie­ren. Das ist aber auch mit einem Macht­kampf verbunden.

Wie äus­sert sich die­ser Macht­kampf?
Bis­her war es üblich, dass die welt­li­chen Herr­scher die höch­sten kirch­li­chen Posi­tio­nen mit ihren Anhän­gern besetz­ten. Dabei wur­de kaum auf Bil­dung und Eig­nung geach­tet. Papst Gre­gor VII. (1073–1085) besteht nun dar­auf, alle geist­li­chen Wür­den­trä­ger selbst ein­zu­set­zen – und zwar auf­grund ihrer Qua­li­tä­ten.
Es kommt zum soge­nann­ten Inve­sti­tur­streit. Wer die füh­ren­den Geist­li­chen ein­setzt, hat die Macht. Der Kai­ser will die Macht behal­ten. Der Papst ist der Mei­nung, geist­li­che Wür­den­trä­ger dür­fen nur von der Kir­che ein­ge­setzt wer­den. Sein Haupt­ziel ist, das Chri­sten­tum von einem toten Buch­sta­ben zu einer Lebens­wirk­lich­keit zu machen. Ob dies letzt­lich gelun­gen ist, ist fraglich.

Wie möch­te man die­ses Ziel errei­chen? Mit Unter­wei­sun­gen?
Ja, man strebt eine bes­se­re Bil­dung der Gläu­bi­gen an. Das ist eine Fra­ge, die sich durch die Kir­chen­ge­schich­te zieht. Auf dem Kon­zil von Tri­ent (1545–63) erkennt man, dass Prie­ster bes­ser aus­ge­bil­det wer­den müs­sen, um die Gläu­bi­gen unter­rich­ten zu kön­nen. Nach Tri­ent wer­den in der katho­li­schen Kir­che erst­mals syste­ma­tisch Prie­ster­se­mi­na­re eingerichtet.

Das Jahr 1348 steht für ein klei­nes, aber bedeut­sa­mes High­light.
Ab Okto­ber 1347 bricht die Pest über Euro­pa her­ein, die fürch­ter­lich­ste Epi­de­mie, die die Mensch­heit bis dahin erlebt hat. Men­schen ster­ben auf ein­mal unter grau­en­haf­ten Qua­len. Vie­le haben Angst, dass das Wel­ten­en­de ange­bro­chen ist. Die Medi­zi­ner haben kei­ne Erklä­rung für das mas­sen­haf­te Ster­ben. Sie mach­ten gif­ti­ge Luft­schwa­den aus dem Welt­all für die Epi­de­mie ver­ant­wort­lich. Mit der Angst sind auch schnell Schuld­zu­wei­sun­gen ver­bun­den. In Deutsch­land und Frank­reich wer­den die Juden zu Sün­den­böcken gemacht und grau­sa­me Pogro­me an ihnen ver­übt. Gegen die­sen Wahn ver­fasst Papst Cle­mens VI. im Jahr 1348 eine Bul­le, auf die die Kir­che stolz sein darf.

Was steht in der Bul­le?
Der Papst schreibt dar­in, dass die Vor­wür­fe gegen die Juden bös­wil­li­ge Ver­leum­dun­gen sei­en und dass jeder, der Juden des­we­gen ver­fol­ge, aus der Kir­che aus­ge­schlos­sen wer­de. Er argu­men­tiert ganz klar: Die Pest ist eine Stra­fe Got­tes, aber sie gilt nicht den Juden. Die Juden haben die Pest nicht ver­brei­tet, denn sie tritt auch da auf, wo es kei­ne Juden gibt. Mit die­ser Bul­le hat sich der Papst nicht beliebt gemacht.

Was hat es mit der «Medi­en­re­vo­lu­ti­on» auf sich?
Kunst dien­te immer schon der Pro­pa­gan­da. Aber ab dem 15. Jahr­hun­dert wird das Bild ziel­ge­rich­tet als Pro­pa­gan­da­in­stru­ment ein­ge­setzt. Der neue Stil der Renais­sance bringt drei­di­men­sio­na­le Bil­der mit kom­ple­xem Auf­bau her­vor, mit denen mehr Bot­schaf­ten trans­por­tiert wer­den kön­nen. Dies nut­zen zuerst die Medi­ci in Flo­renz. Die «Medi­en­re­vo­lu­ti­on» geht ab 1470 auf Rom und die Päp­ste über. Das ein­drucks­voll­ste Zeug­nis die­ser Revo­lu­ti­on ist die Six­ti­ni­sche Kapel­le, die in zwei Etap­pen aus­ge­malt wird.

Wofür wer­den die­se Bil­der ver­wen­det?
Die Bil­der wer­den ein­ge­setzt, um ele­men­ta­re Heils­bot­schaf­ten des Chri­sten­tums zu ver­mit­teln und vor allem die Macht­stel­lung des Pap­stes sicht­bar zu machen.
Die Macht der Für­sten und Köni­ge ist erb­lich. Päp­ste hin­ge­gen wer­den gewählt, und ihre Macht ist durch Chri­stus ver­bürgt. Die­se Begrün­dung der Macht ist für die Men­schen damals etwas Unver­gleich­ba­res, etwas Abstrak­tes. Mit ein­gän­gi­gen Bil­dern kann die­ser Zusam­men­hang bes­ser dar­ge­stellt wer­den als durch eine schwer ver­ständ­li­che Theologie.

Mit der Kalen­der­re­form setzt die Kir­che einen wei­te­ren gesell­schaft­li­chen Akzent …
1582 wer­den ein­fach 10 Tage gestri­chen, d. h. man springt vom 4. auf den 15. Okto­ber. Das wür­de sich heu­te kei­ne Regie­rung mehr trau­en. Das ist eine unglaub­lich küh­ne Ope­ra­ti­on, die sehr sorg­fäl­tig vor­be­rei­tet und sou­ve­rän abge­wickelt wird.
Zwi­schen 1560 und 1590 erreicht die Kurie ein Niveau an Gelehr­sam­keit, das es spä­ter nicht mehr gibt. Ein Stab von hoch­ge­bil­de­ten Kar­di­nä­len, an deren Spit­ze Kar­di­nal Sir­le­to (1514–1585) steht, plant die Kalen­der­re­form. Dabei wer­den auch gros­se Gelehr­te wie der däni­sche Pro­te­stant Tycho Bra­he kon­sul­tiert. Hin­zu kommt, dass sich der acht­zig­jäh­ri­ge Papst Gre­gor XIII. der intel­lek­tu­el­len Füh­rung die­ser «Gelehr­ten­ku­rie» (so die grund­le­gen­den For­schun­gen von Filip Male­se­vic) anver­traut. Das ist spä­ter nicht mehr der Fall.

Und wel­che Rol­le nimmt die Kir­che heu­te ein?
Ich glau­be, dass man trotz kos­me­ti­scher Zuge­ständ­nis­se an der Sub­stanz des Amtes so, wie es sich in der Tra­di­ti­on ent­wickelt hat, fest­hält. Das zeigt sich auch im Umgang von Papst Fran­zis­kus mit dem syn­oda­len Weg. 2019 wirft er den Deut­schen in einem Brief Pela­gia­nis­mus vor. Pela­gia­nis­mus ist eine spät­an­ti­ke Häre­sie, die den Men­schen zu posi­tiv sieht, die vor­gibt, dass er sich aus eige­ner Kraft zum Guten hin­wen­den kann. Ich glau­be, dass man in Rom die ganz­heit­li­che Füh­rung durch das Papst­tum für unver­zicht­bar hält, dass das Amt über der Geschich­te steht. Zuge­ständ­nis­se an Son­der­we­ge kämen einer Selbst­auf­ga­be gleich.

Was bedeu­tet dies für das Frau­en­prie­ster­tum?
Ich glau­be nicht, dass man Frau­en zum Prie­ster­amt zulässt. Das wür­de vor­aus­set­zen, dass man das Papst­amt neu defi­niert. Es ist unwahr­schein­lich, dass ein Papst, der in einer so lang­jäh­ri­gen Kon­ti­nui­tät und Legi­ti­mi­tät steht, dem zustimmt.

In wel­chen Berei­chen könn­te die Kir­che heu­te Vor­bild und Vor­rei­te­rin sein?
Wer­te, die sich im Chri­sten­tum, im Huma­nis­mus und auch in der Natur­wis­sen­schaft ent­wickelt haben, muss man nicht pau­schal unter­schrei­ben. Aber man muss sich kri­tisch damit aus­ein­an­der­set­zen, um sie ableh­nen, anneh­men oder wei­ter­ent­wickeln zu kön­nen. Die Auf­ga­be der Kir­che wäre es, auf das Unver­zicht­ba­re und Erhal­tens­wer­te auf­merk­sam zu machen.

Marie-Christine Andres Schürch
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