Bohnenzählen macht glücklich
Stopp. Halten Sie kurz inne. Schliessen Sie die Augen und überlegen Sie: Wofür bin ich heute dankbar? Studien zeigen: Menschen, die achtsam durchs Leben gehen und für die kleinen Dinge dankbar sind, leben insgesamt glücklicher.
Vielleicht ist Ihnen spontan nichts in den Sinn gekommen, wofür Sie heute dankbar sind. Das ist nicht weiter schlimm. Wahrscheinlich geht es den meisten Menschen so, denen nichts Aussergewöhnliches passiert ist. Die gute Nachricht: Dankbarkeit kann man lernen, indem man die kleinen Dinge des Alltags achtsam wahrnimmt. Und da dürfen Sie ganz radikal bei den einfachsten Dingen anfangen.
Ein Beispiel
Wenn Sie sich das nächste Mal das Gesicht waschen, wenn Sie den Wasserhahn aufdrehen, können Sie sich daran freuen, dass das Wasser einfach so aus dem Hahn sprudelt. Mit einem einfachen Handgriff fliesst das kühle Wasser. Sie können sich der Reise des Wassers gewahr werden, des langen Weges, den es von seiner Quelle bis zu Ihrem Waschbecken zurückgelegt hat. Und: Nehmen Sie sich Zeit. Versuchen Sie, Ihre Gedanken im Hier und Jetzt zu behalten, in dem Moment, in dem Sie Ihre Hände zu einer Schale formen und Ihr Gesicht in das angenehme, erfrischende Wasser tauchen. Die achtsame Wahrnehmung hilft, das Leben nicht als Selbstverständlichkeit aufzufassen, sondern als Geschenk.
Die alte Frau und das kleine Glück
Die alte Frau verliess nie das Haus, ohne zuvor eine Handvoll Bohnen einzustecken. Sie tat dies nicht etwa, um die Bohnen zu kaufen, schon gar nicht, um sie irgendwo einzupflanzen, sondern um so die schönen Momente des Tages bewusster wahrzunehmen und sie besser in Erinnerung behalten zu können. Für jede positive Kleinigkeit, die sie tagsüber erlebte, liess sie eine Bohne von der rechten in die linke Jackentasche wandern. Zum Beispiel für einen fröhlichen Klatsch auf der Strasse, das Lachen eines Kindes, ein köstliches Mahl, eine fantasievoll gekleidete Frau, einen schattigen Platz in der Mittagshitze, einen rücksichtvollen Mitmenschen, für alles, was ihre Sinne erfreute. Manchmal waren es gleich zwei oder drei Bohnen.
Abends sass sie dann zu Hause und zählte die Bohnen aus der linken Tasche. Sie zählte die Bohnen sorgfältig, lauschte dabei inniger Musik und führte sich so vor Augen, wie viel Schönes ihr an diesem Tag widerfahren war und freute sich. Und selbst an den Abenden, an denen sie bloss eine Bohne zählte, waren ihre Tage gelungen – und es hatte sich zu leben gelohnt.
Autor/in unbekannt
Falls Sie keine Bohnen zuhause haben…
…führen Sie doch ein Dankbarkeitstagebuch. Notieren Sie jeden Tag eine angenehme Erfahrung, für die Sie dankbar sind, und welche Gefühle und Gedanken damit verbunden waren.
Tipps für mehr Lichtblicke
Um mehr Freude, Licht und Dankbarkeit ins Leben zu lassen, ist für mich die Haltung von Viktor Frankl zentral. Der 1997 verstorbene Neurologe, Psychiater und KZ-Überlebende schrieb in seinem Werk «… trotzdem Ja zum Leben sagen», dass der Mensch frei sei, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Er kann sich entscheiden, dankbar zu sein oder zu jammern.
Meine Tipps für mehr Lichtblicke im Alltag
Langeweile gibt Zeit zum Wahrnehmen, Beobachten und schult den Blick, der sonst häufig auf den Bildschirm fixiert ist. Wenn ich jeden Abend drei Dinge aufschreibe, für die ich dankbar bin, nehme ich Glücksmomente mit der Zeit bewusster wahr. Ich formuliere möglichst konkret: «Die Prise Zimt in dieser Kürbissuppe hat mir sehr gut geschmeckt.» Ich sage oft «Danke», zum Beispiel dem Buschauffeur beim Aussteigen. Das tut mir und anderen gut und schafft eine Kultur der Wertschätzung und Dankbarkeit. Die christliche Tradition bietet eine Fülle an Gebeten und Ritualen, um den Moment zu segnen und zu danken. Warum nicht vor dem Essen ein kurzes Tischgebet halten?
Thomas Jenelten
Theologe, Achtsamkeitstrainer und Präsident von Alzheimer Aargau