Bischof Felix Gmür, ein Arbeitsporträt
- Im achten Jahr ist Felix Gmür Bischof von Basel. Sein Wahlspruch «Begreift, was der Wille des Herrn ist» spiegelt wider, was ihm wichtig ist: Verstehen und verstanden werden.
- Im Gespräch erzählt der Bischof von Spielregeln in der Kirche, von Dingen, die ihn ärgern und seinem Eindruck, dem deutschsprachigen Kulturraum mangele es manchmal an Gelassenheit.
Am Ende einer Pressekonferenz mit verschiedenen Teilnehmenden in Basel soll Bischof Felix Gmür ein Schlusswort sprechen. Wie er das macht, sagt einiges über den Luzerner aus. Der Bischof will, dass die Anwesenden verstehen, worum es geht. Also fasst er im Schlusswort das bisher Ausgeführte strukturiert in drei klar formulierten Punkten zusammen und richtet ein Spotlight auf die Vielfältigkeit der katholischen Kirche als attraktives Angebot in der Gegenwart.
Es soll nicht um Pommes Frites gehen
Ortswechsel. Der Bischofssitz in Solothurn. In einem hellen Besprechungszimmer im ersten Stock nimmt sich Felix Gmür Zeit für ein Gespräch. Er ist seit fünf Uhr auf den Beinen und unterwegs; am Abend erwartet er eine Gruppe Firmlinge. Der 52-jährige macht, gut gelaunt, für das Gespräch lediglich eine Einschränkung: «Ich fände es nicht zielführend, wenn es darum geht, ob der Bischof gerne Pommes frites isst oder nicht».Geht es um Fragen zu seiner Person, zieht Felix Gmür den Vergleich zu Politikern: «Wenn ein Aargauer Politiker nahe der Grenze zu Deutschland lebt, erwarten die Leute von ihm, dass er nicht nach Deutschland fährt zum Einkaufen. Auch, wenn es die Privatperson ist, die einkauft und nicht der Politiker. Es gibt Dinge, die sehr persönlich sind, die aber die Menschen von einer Amtsperson erwarten. In meinem Fall zum Beispiel das Beten. Doch es ist nicht das Amt, das betet, sondern ich». Die Rolle als Bischof sei angenehm, weil sie einen Schutz biete. Gleichzeitig sei sie aber auch mühsam, weil er eine öffentliche Person sei, erklärt Felix Gmür. Gelernt habe er den Umgang damit in seiner Zeit als Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) von 2006 bis 2010.
Ein Denker, ständig auf Achse
Im achten Jahr steht Felix Gmür nun der Diözese Basel vor. Der Wahlspruch, den sich der Nachfolger von Kurt Koch zur Bischofsweihe aussuchte, lautet: «Begreift, was der Wille des Herrn ist». Der Satz aus dem Epheserbrief spiegelt wider, was bei der Pressekonferenz und im Gespräch in Solothurn deutlich wird. Felix Gmür geht es um das Verstehen und Verstanden werden. «Haben Sie verstanden, wie ich es meine?», hakt er mehrfach nach. Auch sich selbst «unterbricht» er immer wieder und sucht konzentriert nach der Formulierung, die seinen Gedanken exakt ausdrückt. Er spricht bedächtig, macht Pausen und untermalt seine Worte mit Gesten. Zwischendurch schiebt er regelmässig seine Brille auf der Nase hoch.Zwei Doktortitel – in Theologie und Philosophie – legen Freude am Denken und am strukturierten Arbeiten nahe. Theologie und Philosophie – das sind langsame Disziplinen. Scheinbar im Widerspruch dazu ist der Bischof von Basel ständig auf Achse. Felix Gmür wischt mit dem Daumen über das Display seines Smartphones und liest aus seiner Agenda vor. «Zwei Tage Fastenopfersitzung in Hertenstein, Filmvorführung von «Habemus feminas» in Bern, eine Sitzung wieder in Hertenstein, Treffen der Schweizer Bischofskonferenz SBK in Fribourg, eine Firmung, eine Pastoralraumerrichtung samstags und am Sonntag dann Jubiläumsmesse und anschliessendes Fest in Frick». Er stoppt, schaut amüsiert und sagt: «Das sind nur die Termine der nächsten Woche». Ob er zu Beginn seiner Amtszeit gedacht hätte, dass er so viel unterwegs sein werde und ob er das ändern würde, wenn er könnte? Die Antwort auf beide Fragen lautet «Nein, es ist einfach so». Kurz und knapp.
Die Spielregeln sind bekannt
Der Begriff Dienst sei zwar «ein bisschen ein missbrauchtes Wort», doch der Leiter der Diözese versteht das Bistum auch als Organisation im Dienst von Gesellschaft, Gläubigen und Mitarbeitenden. Letztere nehmen ihren Bischof durchaus unterschiedlich wahr. Einige schätzen die grosse Freiheit, die sie im Bistum Basel bei ihrer Arbeit in den Pfarrgemeinden haben, andere wünschen sich grössere Klarheit. Man wisse nie so genau, woran man beim Bischof sei, heisst es immer wieder.Felix Gmür nimmt das gelassen. «Die Seelsorgerinnen und Seelsorger vor Ort kennen die Spielregeln genau und sie wissen, wie es in ihren Gemeinden am besten läuft. Man muss den Bischof also nicht alles fragen. Man muss den Bischof aber vor allem dann nicht fragen, wenn man etwas machen will, was mutmasslich gegen die Regeln verstösst», sagt Felix Gmür. Er könne nichts erlauben, was verboten sei; die Regeln seien sinnvoll und wenn er gefragt werde, erkläre er die Regeln und stelle sie in ihren Kontext, das habe er nie anders gemacht.
Ärger über Sticheleien und Machtkämpfe
Überhaupt plädiert Felix Gmür für Gelassenheit: «Das Leben ist weder abschliessend geregelt, noch ist es nicht geregelt. Ich habe den Eindruck – auch wenn der natürlich täuschen kann – dass die deutschsprachige Kultur, damit meine ich die Schweiz, Deutschland und auch Österreich, weniger gut damit umgehen kann, wenn die Wirklichkeit nicht dem Ideal entspricht. Wenn in Italien ein Paar im Konkubinat lebt und es gibt vielleicht noch ein Kind, dann wissen sie, dass das nicht dem Ideal der Kirche entspricht und akzeptieren das. In der deutschsprachigen Kultur kommt schnell der Wunsch, die Kirche möge das doch bitte regeln oder absegnen».Es gebe zwar nichts, was ihn direkt in Rage bringe, doch es ärgere ihn, wenn er in seinem Bistum statt Aufbruch und Offenheit Sticheleien und Machtkämpfe beobachte; er könne verstehen, wenn Leute dann den Kirchendienst verliessen oder gar ganz aus der Kirche weggingen, auch wenn er das bedauere. «Was mich auch ärgert ist das, was ich vielleicht einen Hang zum Masochismus nennen würde. Ich habe das Gefühl, wir streiten in der Kirche oft mit uns selbst.»
Offen sein für Neues
Sorge bereitet es dem Bischof, wenn er sieht, dass sich einzelne Pfarrgemeinden zu geschlossenen Gesellschaften entwickeln. «Sie haben eigene Regeln, durchaus gute, aber sie sind so, dass jemand von aussen sich dort nicht beheimatet fühlt. Vielleicht wollen sich diese Pfarrgemeinden auch durch Neues von aussen nicht anfragen lassen. Doch die Pfarreien sollten offen sein für Neues und die Zukunft», sagt Felix Gmür nachdenklich. Er selber werde durch sein Amt in verschiedenen Kontexten automatisch mit Kritik und Neuem konfrontiert. «Einerseits durch viele Menschen, die mir schreiben oder mich ansprechen. Andererseits durch meine Aufgaben – zum Beispiel für die SBK. Ich habe im Rahmen meiner Amtszeit viele Dinge gesehen und gelernt, die ich vorher nicht kannte». Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit oder Diskurse um das gesellschaftliche System sind Themen, die den Bischof beschäftigen. «Da höre ich auch, dass wir Weltverbesserer seien, den moralischen Zeigefinger erheben, Geld verschwenden und Null Wirkung haben», listet der Bischof auf.
Keine Homestorys
Felix Gmür will mit seiner Person im Amt dafür einstehen, dass die Kirche als offene und glaubwürdige Gemeinschaft wahrgenommen wird. Er gibt
Interviews, sagt in der
Schweizer Illustrierten, warum und wofür er betet, stellt sich für kurze
Impulsvideos in den Sozialen Medien oder für eine
Fotoreportage im Migros-Magazin zur Verfügung. Aber auch hier zieht er Grenzen. Anfragen für Homestorys lehnt er ab. Bei Pastoralraumerrichtungen oder anderen Feierlichkeiten in den Pfarreien mischt er sich unter die Leute und unterhält sich mit den Gläubigen. Die bescheinigen ihrem Bischof, dass er verständlich rede und nah bei den Menschen sei. Felix Gmür betont, dass man über alles sprechen könne, um dann gemeinsam einen Weg zu suchen. Was er nicht wünscht: Eine Kirche, die sich abkapselt. «Wir können selbstbewusst und authentisch auftreten. Wir müssen sichtbar sein, ohne uns aufzudrängen. Dann haben die Menschen die Chance das Angebot der guten Botschaft anzunehmen oder abzulehnen».
Verfechter der kirchlichen Leseordnung
Nicht alles, was Felix Gmür als Bischof sagt oder entscheidet ist populär. Er lacht, als er sagt: «Es ist ja nicht meine Aufgabe als Bischof, populär zu sein. Aber vieles, was ich sage, ist ja auch nicht unpopulär. Es geht nicht um uns als Personen, sondern um uns als Gemeinschaft. Es fasziniert mich, dass die Ur-Botschaft von Jesus als dem Auferstandenen über so viele Jahrhunderte weitergegeben worden ist. Es gibt eine Sukzession der Erzählung bis in die Zeit der Apostel. Das gibt Boden und Wurzeln, auch wenn sich der Rahmen verändern kann».Für die Auseinandersetzung mit der Botschaft in der Predigt hält sich Felix Gmür an die Leseordnung der Kirche. Das sei sinnvoll. «Nicht ungern habe ich aber die schwierigeren Texte, weil die Beschäftigung mit der Botschaft dann spannender sein kann. Ist ein Text zu eindeutig, besteht die Gefahr, dass die Auslegung dann platt wird», präzisiert er. «Begreift, was der Wille des Herrn ist» — hier blitzt sein Wahlspruch wieder durch. Auch der Bischof will verstehen, worum es in den Schriftworten geht und nicht selten bietet er in seinen Predigten griffige und pointierte Bilder an, die einen Text ins Leben übersetzen können.
Bistum Basel: Predigen erlaubt
Er sagt es zwar nicht direkt, aber ein wenig platt findet Felix Gmür wohl auch einzelne «Was-wäre-wenn-Fragen» und reagiert fast ungeduldig: «Ich weiss nicht, wohin Gott mich geschickt hätte, wäre ich nicht Priester oder Bischof. Ich antworte darauf auch nicht, ich wäre Arzt, verheiratet, hätte drei Kinder und eine Sekretärin. Aber ich sage, vielleicht wäre ich Arzt mit einer Klinik, die ich zum Wohl der Patienten organisiere». In diesem Sinne – mit dem Willen, seine «Klinik» zu organisieren – geht er als Vorsteher seiner Ortskirche die Wege, die ihm richtig erscheinen: «Anders als in anderen Bistümern dürfen Leute mit Missio, die Theologie studiert haben, auch in der Eucharistiefeier eine Predigt halten. Das ist in unserem Bistum eine langjährige Gepflogenheit und ich sehe keine andere Möglichkeit, dass am Sonntag an vielen Orten über die frohe Botschaft ein Predigtwort gehalten werden kann».«Ist das alles gut so?», beendet Felix Gmür nach knapp zwei Stunden das Gespräch und beendet es doch nicht. Auf dem Weg zum Ausgang denkt er laut darüber nach, ob sich ein Atheist im Angesicht des Todes einsamer fühlt als ein Gläubiger. Langsam geht er Stufe für Stufe die Treppe hinab, bleibt stehen, sagt etwas, hört zu, denkt, geht wieder eine Stufe und verabschiedet sich an der Tür lachend: «Darüber könnte man jetzt auch wieder länger sprechen».