Beten befreit von «Erden­din­gen»

  • Jeweils am ersten Frei­tag im März wird der Welt­ge­bets­tag gefei­ert, eine welt­wei­te Bewe­gung, begon­nen und getra­gen von Frau­en aus christ­li­chen Tra­di­tio­nen in mehr als 170 Län­dern. Die­ses Jahr hat das Welt­ge­bets­tag­ko­mi­tee Eng­land, Wales und Nord­ir­land die Fei­er zusammengestellt.
  • Ange­sichts des Kriegs in der Ukrai­ne rief Bischof Felix alle zum Gebet auf, am Frei­tag­abend, 4. März, bete­te er mit den Men­schen an einer Frie­dens­kund­ge­bung in Solothurn.
  • Doch war­um beten Men­schen eigent­lich? Und was kön­nen Gebe­te bewirken?

Vie­le tun es. Wenn man nicht mehr wei­ter weiss im Leben. Wenn gelieb­te Men­schen krank sind oder ster­ben. Oder auch, wenn man vom Glück über­wäl­tigt wird: beten. Das Gebet ist für vie­le Ori­en­tie­rung, Ritu­al und Kraft­spen­der. So auch für den berühm­ten Theo­lo­gen Karl Rah­ner, der sag­te: «Wir müs­sen beten! Wenn wir nicht beten, blei­ben wir hän­gen an den Erden­din­gen, wer­den klein. Eng wie sie, wer­den erdrückt von ihnen, ver­kauft an sie.»

Nicht son­der­lich ange­tan wäre der gros­se Kon­zils­theo­lo­ge wohl von die­ser Akti­on gewe­sen: Im Mai 2021 star­te­te ein welt­wei­ter Gebets­ma­ra­thon. Es gab Live­schal­tun­gen aus Orten wie Rom, Lour­des und Fati­ma, wo Gläu­bi­ge an einem Rund-um-die-Uhr-Rosen­kranz­ge­bet teil­nah­men. Von die­sem Rekord­be­ten wur­den offen­bar Wun­der erwartet.

Abhän­gig vom Gottesbild

Was beten bewir­ken kann, hängt stark mit dem per­sön­li­chen Got­tes­bild zusam­men. Bekannt ist der Spruch: «Sag mir, wie du betest und ich sage Dir, wel­ches Men­schen- und Got­tes­bild du hast!» Wenn man in Gott einen Freund sieht, wie es die hei­li­ge Tere­sa von Ávila ein­mal for­mu­lier­te, dann gestal­tet sich die Gebets­pra­xis leben­dig, ja fast intim. Wie sieht das bei Men­schen aus, die nicht an Gott glauben?

«Gott­los beten», wie der Titel eines jüngst erschie­ne­nen Buches von Jesu­it und Zen­mei­ster Niklaus Brant­schen heisst, auch das kann funk­tio­nie­ren. Für den Mit­be­grün­der des Lass­alle-Hau­ses bedeu­tet gott­lo­ses Beten: medi­tie­ren ohne Wor­te. Zudem das Los­las­sen von alten Got­tes­bil­dern, Vor­stel­lun­gen und Wün­schen. Mehr Sinn ent­wickeln für das Mysti­sche und für das Geheimnisvolle.

Glau­be und Medizin

Man­che Beter sahen sich von Gott schon bit­ter ent­täuscht. Der Dich­ter und Arzt Gott­fried Benn (1886–1956) sag­te ein­mal: «Vor wem sol­len wir noch knien? Der Alte hat uns im Stich gelas­sen, die Lage ist bit­ter.» Im Gebet sah der Dich­ter offen­bar kei­nen Sinn. In den letz­ten Jah­ren aber beschäf­tig­ten sich immer mehr Medi­zi­ner mit dem Glau­ben und sei­ner Wir­kung. Wis­sen­schaft­ler frag­ten sich: Kann das Gebet hei­len? Leben Men­schen, die beten län­ger? Dabei wur­den bei beten­den Men­schen Hirn­strö­me und Herz­fre­quen­zen gemes­sen. Die Resul­ta­te sind bis heu­te nicht ein­deu­tig. Wäh­rend die einen Stu­di­en erga­ben, dass beten kei­ne hei­len­de Wir­kung habe, kom­men ande­re zum gegen­tei­li­gen Ergebnis.

Zuver­sicht und Halt

Einer der ersten, der die hei­len­de Wir­kung des Gebets mit einem wis­sen­schaft­li­chen Expe­ri­ment nach­wei­sen konn­te, war der Arzt Leo­nard Lei­bo­vici. Er liess im Juli 2000 für Pati­en­ten mit Blut­ver­gif­tung um eine schnel­le Gene­sung beten. Tat­säch­lich sank bei ihnen das Fie­ber schnel­ler und konn­ten sie das Kran­ken­haus frü­her ver­las­sen als die Pati­en­ten, für die nicht gebe­tet wurde. 

Dale Matthews, Pro­fes­sor an der George­town Uni­ver­si­ty (USA), kam im sel­ben Jahr in einer Stu­die zum Schluss, dass beten gesund­heits­för­dernd sein kann. Sei­ne Unter­su­chun­gen zeig­ten, dass beten hilft, Krank­hei­ten vor­zu­beu­gen und Hei­lungs­pro­zes­se zu beschleu­ni­gen. Die Befun­de der Stu­di­en zei­gen: Beten hilft durch sei­ne beru­hi­gen­de Wir­kung bei Depres­sio­nen, Blut­hoch­druck und Herz­rhyth­mus­stö­run­gen. Das gemein­sa­me Beten spen­det Men­schen Zuver­sicht und Halt, was das Immun­sy­stem stärkt. Der Reli­gi­ons­psy­cho­lo­ge Seba­sti­an Mur­ken sag­te 2021 in einer Sen­dung des Süd­west­rund­funks SWR: «Wenn ich bete, wenn ich bestimm­te Ritua­le aus­füh­re, wenn ich eine Gemein­schaft habe, die mich unter­stützt, gewin­ne ich neue Zuversicht.»

Nicht all­täg­lich werden

Dass ihr Gebet Wir­kung zeigt, davon sind gera­de Ordens­leu­te inner- und aus­ser­halb ihrer Klö­ster tief über­zeugt. Nicht sel­ten erhal­ten sie Gebets­wün­sche von aus­sen. Die Schwe­stern im Klo­ster Bald­egg (LU) etwa drucken die­se sogar aus und pin­nen sie an eine beson­de­re Wand. Sie glau­ben fest dar­an, dass Gebe­te posi­ti­ve Ener­gien auf Per­so­nen über­tra­gen kön­nen. Und schliess­lich noch ein­mal Karl Rah­ner und die «Erden­din­ge», an denen man nicht hän­gen blei­ben soll. Für den Theo­lo­gen ist das Gebet ein gutes Mit­tel dage­gen. Der Jesu­it sag­te: «Glück­lich schon der, der im All­tag von Zeit zu Zeit immer wie­der betet! Er wird gewiss wenig­stens selbst nicht ganz alltäglich.»

Marie-Christine Andres Schürch
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