Auge in Auge mit Franziskus

Auge in Auge mit Franziskus

Auge in Auge mit Franziskus

Wie eine ehe­ma­li­ge Mini­stran­tin aus Mut­tenz den Papst­film von Wim Wen­ders erlebte

Nur weni­ge konn­ten den Papst bei sei­nem Besuch am 21. Juni in Genf live erle­ben. Fast gleich­zei­tig erfolg­te der Kino­start des Films «Papst Fran­zis­kus – ein Mann sei­nes Wor­tes» des deut­schen Regis­seurs Wim Wenders.Fünf Jah­re lang tat ich als Mini­stran­tin mei­nen Dienst. Der Papst sass in Rom und ich in der katho­li­schen Kir­che in Mut­tenz. Ratz­in­ger und Co. blie­ben für mich phy­sisch und gei­stig fer­ne Wesen aus einem dog­ma­ti­schen Uni­ver­sum. Der Papst war für mich der stren­ge Hir­te, der ver­sucht, Chri­stus wür­dig auf Erden zu ver­tre­ten, dabei mit ein paar kon­ser­va­ti­ven Flos­keln her­um­wirft und welt­fremd über die Fra­ge der Gleich­be­rech­ti­gung und der Sexu­al­mo­ral stol­pert. Mit Ver­laub, lie­be Glau­bens­ge­nos­sin­nen, war­um erwar­tet ihr von einem Betag­ten, der nie die Glück­se­lig­keit der kör­per­li­chen Lie­be genoss, die Pro­ble­me Nor­mal­sterb­li­cher zu ver­ste­hen?Das hat sich geän­dert, plötz­lich kommt mir der Vati­kan als Papst Fran­zis­kus nahe. Er blickt mich ein­dring­lich an und spricht zu mir innig, hyp­no­tisch, nicht wie ein TV-Wahr­sa­ger, son­dern wie ein wah­rer Ver­tre­ter Chri­sti. So gesche­hen in Wim Wen­ders neue­stem Film­pro­jekt «Papst Fran­zis­kus – ein Mann sei­nes Wor­tes». Im Zen­trum ste­hen die Inter­views, die Wen­ders in vier Pri­vat­au­di­en­zen mit dem Ver­tre­ter Chri­sti auf­nahm. Die Gesprä­che wur­den so kon­zi­piert, dass der Papst nicht zum Regis­seur spricht, son­dern direkt in die Kame­ra und zum Publi­kum. Ein fil­mi­scher Kniff – Fran­zis­kus wirkt nah, greif­bar.Durch eine Sze­ne füh­le ich mich in mei­ne Zeit als Mini­stran­tin zurück­ver­setzt: Der Papst fährt im Papa­mo­bil durch eine Stras­se, die sich zwi­schen jubeln­den Men­schen­mas­sen auf­tut, wie vor Moses das Rote Meer. Die Kame­ra surrt hin­ter dem Papst, man blickt ihm regel­recht über die Schul­ter, ist live dabei. Ich ken­ne die­sen Blick­win­kel: Als ich bei der Wand­lung als Mini­stran­tin hin­ter dem Prie­ster stand, in mein weis­ses Gewand gehüllt und über die Schul­tern des Prie­sters in den wei­ten Kir­chen­raum sah. Wäh­rend der Prie­ster die Ein­set­zungs­wor­te wie Zau­ber­for­meln vor sich hin­mur­mel­te, wan­der­ten mei­ne Augen über die Bän­ke und Gesich­ter der Gläu­bi­gen. Sol­che Momen­te emp­fand ich als auf­re­gend, wenn mir nicht gera­de schlecht war vom lan­gen Ste­hen.

«Der fran­zis­ka­ni­sche Wind»

Wen­ders Film, den der Vati­kan beim deut­schen Regis­seur in Auf­trag gab, fei­ert wei­te­re erha­be­ne Momen­te. Etwa beim Auf­takt: Die Ver­kün­di­gung des Habe­mus Papam 2013 von der Bene­dik­ti­ons­log­gia auf den men­schen­über­ström­ten Peters­platz hin­un­ter, als der neue Papst Fran­zis­kus die Men­ge mit einem ein­fa­chen «Buo­na sera» begrüsst. Obwohl ich kei­ne Katho­li­kin bin, die «Ja und Amen» sagt, hat­te ich ein wenig Gän­se­haut. Ein Papst, der das Armuts­ide­al nicht nur pre­digt, son­dern danach lebt und auf sei­ne Woh­nung im Apo­sto­li­schen Palast ver­zich­tet. Es sind für mich nicht nur Wor­te, mit denen er den Geist sei­nes Namens­ge­bers, des hei­li­gen Franz von Assi­si, belebt, son­dern vor allem auch Taten.

Die Ärm­ste der Armen

Der Ein­satz für die Umwelt nimmt einen wich­ti­gen Platz im Doku­men­tar­film ein. Und sicher­lich in der Agen­da von Papst Fran­zis­kus: Er bezeich­net die Erde als «Ärm­ste der Armen» und macht auf ihre Aus­beu­tung auf­merk­sam. «Es ist eine Schan­de für jeden Ein­zel­nen von uns», mahnt der Papst und blickt mich zugleich streng und gütig mit schräg geleg­tem Kopf an. Alle Reli­gio­nen müss­ten sich dafür ein­set­zen, dass es der Erde bes­ser gehe. Um zu zei­gen, wie ernst es dem 81-Jäh­ri­gen ist, zeigt Wen­ders, wie der Vati­kan vor der Kli­ma­kon­fe­renz in Paris Foto­gra­fien zum Kli­ma­wan­del und huma­ni­tä­ren Kata­stro­phen auf die Fas­sa­de des Peters­doms pro­ji­ziert. So auf­re­gend hät­te ich mir man­che Mes­se als Mini­stran­tin gewünscht.

«Erneue­re mein Haus, es ist zerstört»

Dann wird Fran­zis­kus zum See­len­arzt und stellt fest, dass die Kir­che von «geist­li­chem Alz­hei­mer» befal­len sei: Nicht nur Lai­en, auch die Prie­ster wür­den ihre wah­re Bestim­mung, das Zuhö­ren, ver­ges­sen und sich vom Reich­tum blen­den las­sen. Dar­auf zeigt Papst Fran­zis­kus mit dem Fin­ger. Ein­dring­lich schaut er uns an, und appel­liert: «Wenn wir ärmer wer­den, wer­den wir rei­cher.» Bei die­sem Blick muss man ihm glau­ben.Auch wenn Wim Wen­ders von vie­len Sei­ten Vati­kan-PR vor­ge­wor­fen wird, haben mich sein Film und die­ser Papst so erreicht wie noch nie. Zwei Stun­den sass ich Auge in Auge mit dem Pon­ti­fex. Wen­ders Film wird zum Beicht­stuhl, in dem er Pro­ble­me anspricht, die mich in mei­nem Leben beschäf­ti­gen. Da ist jemand, der die huma­ni­tä­ren und öko­lo­gi­schen Pro­ble­me unse­rer Zeit the­ma­ti­siert.Habeo Papam, ich habe einen Papst – jemand, der nicht nur ein Mann des Wor­tes, son­dern mit sei­nem demü­ti­gen Lebens­stil und sei­nem Anpran­gern der Unge­rech­tig­keit sicher auch ein Mann der Tat ist. Auf einer welt­po­li­ti­schen Büh­ne ist die­ser Papst Fran­zis­kus ein Hoff­nungs­trä­ger für die sich säku­la­ri­sie­ren­de Welt. Alles Hap­py End? Nein, ich war­te trotz allem auf die Film­fort­set­zung «Fran­zis­kus 2», in wel­cher der Papst einen pro­gres­si­ven Ansatz zur Stel­lung der Frau in der Kir­che ver­folgt …Noe­mi Schür­mann, www.kirchenbote-online.ch«Papst Fran­zis­kus. Ein Mann sei­nes Wor­tes» («Pope Fran­cis. A Man of His Word»), Deutschland/Italien 2018, Regie: Wim Wen­ders, Film­web­site: www.universalpictures.ch/pope-francis-a-man-of-his-word 
Redaktion Lichtblick
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