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Er wirkte 59 Jahre lang im Dienst der Römisch-Katholischen Kirche, von 1966 bis 1997 in Aarau – zunächst als Vikar, später als Pfarrer. Und bis an sein Lebensende als Priester in den Pfarreien des Pastoralraums Region Aarau. Er starb überraschend am 24. Februar 2025, kurz vor seinem 84. Geburtstag.
In einer frei vorgetragenen Predigt erinnerte Burghard Förster, Pfarreileiter und Diakon in Aarau, an die Zeit von Rieders Priesterweihe – ein Jahr nach dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eines der wichtigsten Dokumente dieses Konzils, «Gaudium et Spes», betont die Solidarität der Kirche mit der gesamten Menschheit und ruft dazu auf, den christlichen Glauben aktiv in der Welt zu leben. Es hebt die Würde des Menschen, soziale Gerechtigkeit und die Verantwortung der Christen für die Welt hervor.
Papst Johannes XXIII. sagte bei der Eröffnung des Konzils: «Öffnet Türen und Fenster, damit der Heilige Geist hereinkommen kann.» Diese Haltung prägte Ruedi Rieder zeitlebens. 1985 verlegte er den Haupteingang der Kirche Peter und Paul von den Seiten des Kirchenschiffs in den Emporenraum und schuf so aus dem ehemaligen, privat genutzten Garten des Pfarrhauses einen Platz der Begegnung. Diese bauliche Öffnung ging mit einer neuen Leitungskultur einher: Entscheidungen wurden fortan im Leitungskollegium getroffen. Gemeinsam mit Moritz Bühlmann und Guido Büchi begründete Rieder einen partizipativen Führungsstil, der bis heute die Pfarrei prägt. Alle Mitarbeitenden werden in Entscheidungsprozesse einbezogen.
Unter Ruedi Rieder öffnete sich das Pfarrhaus für die Menschen am Ort. Liturgie, Diakonie, Verkündigung und Gemeinschaft waren für ihn zentrale Werte, die er mit seinen Kolleginnen und Kollegen lebte. In seiner Ansprache schlug Burghard Förster eine Brücke zur «Verklärung Jesu», die in den Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas beschrieben wird. Auf einem hohen Berg offenbart sich Jesus drei Jüngern als Sohn Gottes – begleitet von Mose, der für das Gesetz steht, und Elia, der die Propheten repräsentiert. Diese Szene, so Förster, zeigt Jesus nicht als Herrscher, sondern als durchscheinende Gestalt, ähnlich einem Ikonenbild: Der goldene Hintergrund scheint durch ihn hindurch. «Nicht die Person ist der entscheidende Inhalt des Bildes, sondern die Durchlässigkeit für das Göttliche.» Die Frage sei, ob jemand im kirchlichen Dienst diese Durchlässigkeit zulasse oder mit seiner Person das Göttliche verdecke. «Ruedi Rieder war ein Mensch, durch den das Göttliche hindurchscheinen konnte. Diese Kraft begeisterte seine Pfarrei.» Doch entscheidend, so Förster, sei nicht nur die Verklärung auf dem Berg, sondern der Abstieg – dorthin, wo die Menschen sind. Genau das habe Rieder getan.
Ein besonderes Anliegen war ihm die Unterstützung von Menschen am Rand der Gesellschaft. Bereits in den späten 1970er-Jahren öffnete er das Foyer des Pfarrhauses. Später entstand unter Mitwirkung des damaligen Sozialarbeiters und heutigen Grossrats Andre Rotzetter die Stollenwerkstatt (heute Trinamo AG), eine Tagesstruktur für Menschen mit Suchtproblemen. Bis heute setzt die Pfarrei das fort, was unter Rieders Leitung begann: Das Offene Pfarrhaus bleibt ein starkes Zeichen der gelebten Annahme und Offenheit für alle Menschen vor Ort.
Text: Dani Schranz