Andere Sprache, andere Kultur – gleicher Glaube
Mehr als 50 000 Gläubige mit ausländischen Wurzeln sind im Kanton Aargau in den anderssprachigen Missionen aktiv. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Religiosität und das Gemeinschaftsgefühl dieser Menschen.Die Corpus Domini Prozession im luzernischen Pfeffikon gehört ebenso zu den festen Traditionen der italienischsprachigen Mission in Aarau wie der Benefizabend mit Marroni-Essen im Herbst oder das Fest des Heiligen Franziskus, das im Oktober mit den Missionsmitgliedern in Zofingen gefeiert wird. Die 7 500 Gläubigen der Missioni Cattolica Italiana mit Sitz in Aarau, kurz MCI, werden seelsorgerisch durch den Priester Don Giuseppe Bressani und die Pastorale Mitarbeiterin Elisabetta Cali betreut. Seit 20 Jahren wirkt Don Giuseppe Bressani als Seelsorger für die MCI, die 1960 aufgebaut wurde. Mittlerweile zählen neben Aarau die Gebiete Kulm und Zofingen zum Pastoralraum der MCI.
Italiener: Wurzeln und Traditionen pflegen
Die Aufgaben des Seelsorgers könnten umfassender nicht sein: Sie reichen über die Jugendseelsorge, Seniorenbetreuung und die Organisation von Veranstaltungen bis zur Durchführung von fünf Gottesdiensten jedes Wochenende.Damals wie heute biete die MCI für viele gläubige Italienerinnen und Italiener einen wichtigen Halt in ihrem religiösen Leben. Besonders für jene Landsleute, die neu aus Italien in die Schweiz ziehen, ist die liberale Art des Glaubens in der Schweiz laut Don Giuseppe Bressani oftmals ungewohnt. Hier biete ihnen die MCI die Möglichkeit, ihre bisherigen Wurzeln und Traditionen weiter zu leben und trotzdem Teil der katholischen Landeskirche zu sein. «Die meisten Italienerinnen und Italiener sind bestens in der Schweiz integriert und nehmen auch am kirchlichen Leben ihrer Pfarreien teil – zum Beispiel im Pfarreirat oder in der Kirchenpflege», erklärt Don Giuseppe Bressani.Die italienischsprachigen Christen gehören im Aargau zur grössten und ältesten fremdsprachigen katholischen Glaubensgemeinschaft, gefolgt von der kroatisch- und der portugiesischsprachigen Missionen mit ca. 8 000, beziehungsweise 7 000 Mitgliedern.
«Auch wenn viele der Gläubigen der Missionen, vor allem die Secondos, bestens in der Schweiz integriert sind, ist ihnen der Bezug zu den Missionen wichtig. Die Religion als wichtiges Element des Gefühlslebens ist stark familienbezogen. Daher pflegen sie bewusst den Kontakt zu den Missionen, wo sie die althergebrachten Gepflogenheiten leben», stellt Maria-Pia Scholl-Franchini fest; sie ist Kirchenrätin der Römisch-Katholischen Landeskirche Kanton Aargau und betreut das Ressort Anderssprachige.
Portugiesen: Musik, Folklore und Tanz
Bis zu 2 000 portugiesischsprachige Christen aus den Kantonen Aargau, Baselstadt und Baselland nehmen an der jährlichen Prozession mit der Madonna von Fatima am Muttertag zwischen Hettenschwil und Leuggern teil. Die Prozession gehört laut Pater Marquiano Petez, Leiter der portugiesischsprachigen Mission mit Sitz im Kloster Mariawil in Baden, zu den religiösen Höhepunkten in seiner Glaubensgemeinschaft. Der gebürtige Brasilianer mit ukrainischen Wurzeln kam 2005 in die Schweiz und baute diese Mission, zu der auch die Kantone Baselstadt und Baselland gehören, auf.«Viele religiöse Feiern sind bei uns stets mit Musik, Folklore, Tanz und den Traditionen aus den verschiedenen Regionen Portugals verbunden», erklärt der Missionar. «Zudem engagieren sich viele Mitglieder – wie übrigens in allen Missionen – stark in der Freiwilligenarbeit, etwa als Katechetinnen, Chorleiter oder Lektoren.»
Kroaten: Tausende Autokilometer unterwegs
1995 wurde in Aarau die erste kroatischsprachige Mission des Kantons Aargau gegründet. Pater Niko Leutar leitet die Mission, die mittlerweile in Baden zuhause ist, seit 2014. Regelmässig finden in Buchs, Wettingen, Zofingen, Menziken, Rheinfelden und Bad Zurzach Gottesdienste statt. Vor zehn Jahren wurde ein Treffen für Ministranten und Kinderchöre ins Leben gerufen, das jeweils am Pfingstmontag stattfindet. Dieses Jahr pilgerten die katholischen Kroaten aus der ganzen Schweiz bereits zum 50. Mal zur Wallfahrt nach Einsiedeln. Ergänzend zum regulären Religionsunterricht führte die Mission zudem in acht verschiedenen Schulen einen Religionsunterricht in kroatischer Sprache durch.Als Seelsorger ist Niko Leutar Ansprechpartner für alle Mitglieder der Mission – zum Beispiel für Trauungen, Haussegnungen oder Beerdigungen. In den letzten zweieinhalb Jahren legte der Missionar für seine Einsätze im Kanton mit dem Auto über 100 000 Kilometer zurück.
Enge Begleitung durch die Landeskirche
Die anderssprachigen Missionen sind Teil der Landeskirche des Kantons Aargau in administrativen, personellen und finanziellen Belangen und mit wenigen Ausnahmen gleichgestellt mit den fünf Fachstellen der Landeskirche. Über die Landeskirche laufen beispielsweise alle Stellenausschreibungen. Die landeskirchliche Verwaltung und das Ressort für Anderssprachige des Kirchenrates sichern zudem eine enge, vielfältige Begleitung und Betreuung der Missionen. Ebenso ermöglicht die Landeskirche durch die Finanzierung der Sozialarbeit in den Kirchlichen Regionalen Sozialdiensten (KRSD) auf Italienisch, Spanisch, Portugiesisch und Kroatisch den Hilfesuchenden dieser Sprachgruppen Unterstützung bei der Integration.Für die Zukunft befürwortet und unterstützt die Landeskirche — so Maria-Pia Scholl Franchini — die Ausbildung von anderssprachigen pastoralen Mitarbeitenden und Pastoralassistierenden, wie bereits im Falle von einer jungen italienischen Theologin und zwei italienischen Theologen, die zurzeit die zweijährige Berufseinführung des Bistums absolvieren. In Mission und Pastoralraum angestellt, verstärken sie die Integration.
Ziel: Gemeinsame Liturgie mit den Pfarreien
In der Kommission für anderssprachige Pastoral (KAP) sind die Missionen durch ihre Seelsorger vertreten. Pro Jahr stehen zwei bis drei Sitzungen auf dem Programm. Sie sollen – neben allgemeinen Themen – die Vernetzung der Missionen untereinander und die Verbindung zu Landeskirche und Bistum stärken. Das aktuelle Legislaturthema «Fremd sein» der Landeskirche bietet laut Maria-Pia Scholl-Franchini die Gelegenheit, sich gemeinsam mit den Missionen mit dem Thema der Integration nachhaltig und intensiver als sonst auseinanderzusetzen.Integration werde einerseits verstanden als Sich-Einleben der Anderssprachigen in die Schweizer Realität von Pfarreien und Kirchgemeinden, andererseits aber auch als ein Aufeinanderzugehen im gegenseitigen Versuch, die Unterschiede zu verstehen und die Gemeinsamkeiten zu pflegen, erklärt Maria-Pia Scholl-Franchini. Gefragt sei für die Zukunft eine stärkere Vernetzung in der Zusammenarbeit von Missionen und Pfarreien. Denkbar wären etwa eine Vertretung der Missionen in den Pfarreiräten und Kirchenpflegen und vermehrt gemeinsame Liturgien und andere pastorale Tätigkeiten im Zeichen einer gelebten Gesamtpastoral.
Pfarreien: Willkommenkultur bis Ablehnung
Wie erleben die Missionare die Zusammenarbeit mit den Pfarreien und der Landeskirche? «In vielen Pfarreien werden wir mit offenen Armen empfangen», freut sich Don Giuseppe Bressani und lobt insbesondere die gute Zusammenarbeit mit der Pfarrei Aarau. Angesichts des Priestermangels werden die Dienste der Missionare, die für die Pfarreien auch als Aushilfen in Gottesdiensten zum Einsatz kommen, geschätzt.Die kroatischsprachige Mission feiert mit einigen Pfarreien gemeinsam das Patrozinium an Pfingsten. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Missionen und Pfarreien seien die persönlichen Kontakte zu den Seelsorgenden vor Ort entscheidend, aber ebenso die Offenheit und das Verständnis der Pfarreimitglieder, meint Missionar Niko Leutar. Gemeinsame Feiern mit Schweizern und anderssprachigen Christen aus den Missionen finden in unterschiedlichem Masse statt, sind aber von Seiten der Pfarreien offenbar aus sprachlichen Gründen nicht immer erwünscht. Wohl auch, weil sich die Pfarreimitglieder aufgrund der hohen Zahl an Missionsmitgliedern überrumpelt fühlen könnten, mutmasst Niko Leutar.
Vom Bistum bei der Zukunftsgestaltung kaum einbezogen
Zu den grossen Herausforderungen in den Missionen gehört zum Beispiel die Konzentration der Standorte auf einige wenige, wie zum Beispiel im Fall der MCI, die aus personellen Gründen von ursprünglich sechs auf vier reduziert wurden. «Darunter leidet die Nähe der Seelsorger zu den Menschen vor Ort. Ebenso verlieren wir so an Ausstrahlungskraft in unserer Mission», klagt Don Giuseppe Bressani.Weiter stellt die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten die Missionen vor Herausforderungen – vor allem dann, wenn für eine Messe Platz für 200 und mehr Personen nötig ist. Die Integration der Missionen höre allerdings nicht beim Feiern von Gottesdiensten oder bei der Infrastruktur auf, so Don Giuseppe Bressani mit dem Verweis auf den Pastoralen Entwicklungsplan (PEP). «Wir bedauern, dass die Missionen bisher kaum in die Planungen des PEP miteinbezogen wurden, schliesslich wollen wir an der Zukunft der Kirche in der Schweiz mitwirken.»