Abt von Ein­sie­deln beklagt «fata­len Eurozentrismus»

Abt von Ein­sie­deln beklagt «fata­len Eurozentrismus»

«Dafür tra­gen wir Ver­ant­wor­tung, auch ich persönlich»

Urban Fede­rer, Abt des Bene­dik­ti­ner­klo­sters Ein­sie­deln, will histo­ri­sches Unrecht in Nord­ame­ri­ka aufklären

Abt Urban Fede­rer bedau­ert, dass sich die katho­li­sche Kir­che für die Ver­bre­chen in Kana­da noch nicht ent­schul­digt hat. Er selbst über­nimmt eine Mit­ver­ant­wor­tung für das, was Schwei­zer Bene­dik­ti­ner in Nord­ame­ri­ka getan haben. Laut dem Luzer­ner Histo­ri­ker Manu­el Men­rath gibt es kei­ne Bele­ge dafür, dass Schwei­zer Bene­dik­ti­ner in kana­di­schen Umer­zie­hungs­in­ter­na­ten tätig waren. Gibt es in Ihrem Kopf­ki­no den­noch Sze­na­ri­en, dass Sie eine mora­li­sche Mit­ver­ant­wor­tung für den kul­tu­rel­len Völ­ker­mord haben könnten?Abt Urban Fede­rer: Eini­ge Ordens­leu­te aus der Schweiz, auch aus dem Klo­ster Ein­sie­deln, waren an der schänd­li­chen «India­ner­mis­si­on» in den USA betei­ligt und haben die unmensch­li­che Ideo­lo­gie geteilt: Die india­ni­sche Kul­tur sei min­der­wer­tig und die Indi­ge­nen müss­ten zu «kul­ti­vier­ten Weis­sen» umer­zo­gen wer­den.Zumin­dest das wis­sen wir. Auch wenn kei­ne direk­ten Bezie­hun­gen von ehe­ma­li­gen Ein­sied­ler Mön­chen zu den Umer­zie­hungs­schu­len in Kana­da bestan­den haben, ist das schlimm genug. Als heu­ti­ger Abt des Klo­sters Ein­sie­deln ste­he ich in der Ver­ant­wor­tung mit­zu­hel­fen, die­ses histo­ri­sche Unrecht auf­zu­klä­ren. Das sind wir den zahl­lo­sen Opfern schul­dig, dafür tra­gen wir Ver­ant­wor­tung, auch ich per­sön­lich.Manu­el Men­rath hat in sei­ner For­schung eine pro­ble­ma­ti­sche Figur ent­deckt: den Ein­sied­ler Bene­dik­ti­ner Mar­tin Mar­ty. Was sagen Sie zu den Vor­wür­fen gegen ihn?Das Buch von Manu­el Men­rath ist 2015 erschie­nen, ich habe das Vor­wort geschrie­ben. Nach der Lek­tü­re war ich gleich drei­mal betrof­fen: als Euro­pä­er, als Katho­lik und als Abt von Ein­sie­deln. Einer­seits war die Umer­zie­hung vom Staat gewollt und dien­te zur Beset­zung des Lan­des der indi­ge­nen Völ­ker durch weis­se Sied­ler. Dahin­ter stand ein fata­ler Euro­zen­tris­mus, wie ich in mei­nem Vor­wort geschrie­ben habe. Die «abend­län­di­sche Kul­tur» wur­de als über­le­gen betrach­tet. Ich war schockiert zu sehen, wie die Kir­che mit­ge­hol­fen hat, die gan­ze Kul­tur der Indi­ge­nen aus­zu­lö­schen. Dies im fata­len Irr­glau­ben, so wür­den die «See­len die­ser jun­gen Men­schen geret­tet».Was kön­nen Sie tun, um Ver­ant­wor­tung zu übernehmen?Im Bene­dik­ti­ner­or­den sind wir ver­netzt. Gemein­sam mit Abt Chri­sti­an von Engel­berg wer­de ich die freund­schaft­li­chen Ver­bin­dun­gen mit unse­ren Grün­dun­gen in den USA nüt­zen. Wir set­zen uns dafür ein, dass die dor­ti­gen Ver­ant­wort­li­chen alles in ihrer Macht Lie­gen­de tun, um die Ver­bre­chen an der india­ni­schen Kul­tur und den Men­schen auf­zu­klä­ren. Auch wenn es noch so schlimm ist und ein dunk­ler Schat­ten auf das Wir­ken der Kir­che in die­ser Zeit fällt. Wir unter­stüt­zen unse­re Toch­ter­klö­ster dabei, so gut wir kön­nen.Kana­das Pre­mier Justin Tru­deau for­dert eine Ent­schul­di­gung von Papst Fran­zis­kus. Ver­ste­hen Sie, dass der Papst erst ein­mal abwar­ten möchte?Bela­stend ist es für mich schon, dass sich der kana­di­sche Staat und ande­re Kon­fes­sio­nen ent­schul­digt haben, nicht aber die katho­li­sche Kir­che. Papst Fran­zis­kus hat bereits sei­ne Betrof­fen­heit und sei­nen Schmerz dazu aus­ge­drückt. Ich gehe davon aus, dass er bei einer guten Gele­gen­heit die indi­ge­nen Völ­ker Kana­das um Ent­schul­di­gung bit­tet. Das hat er jeden­falls 2015 bei sei­nem Besuch in Boli­vi­en getan.Wie ras­si­stisch waren die Schwei­zer Toch­ter­klö­ster in den USA? Wann gab es den ersten Mönch «of colour»? Als ich 1993 in St. Mein­rad ankam, lern­te ich ziem­lich schnell einen Mönch ken­nen, der von sich sag­te, er sei der erste Mönch «of colour» in die­sem Klo­ster: Pater Cypri­an Davis. Pater Cypri­an war nicht nur stolz dar­auf, son­dern wur­de auch zum füh­ren­den Wis­sen­schaft­ler, um den Platz der afro-ame­ri­ka­ni­schen Bevöl­ke­rung in der römisch-katho­li­schen Kir­che zu erfor­schen. Für die­se Bevöl­ke­rung setz­te er sich auch im All­tag mit Schrif­ten und Pre­dig­ten ein.Öff­ne­te sich St. Mein­rad vor oder nach Mar­tin Luther King für Mön­che «of colour»?Pater Cypri­an trat 1950 in St. Mein­rad ein. Bis da bestand die Gemein­schaft nur aus Mit­glie­dern mit einem euro­päi­schen Hin­ter­grund. Pater Cypri­an erzähl­te mir eine Geschich­te, die viel über die Ein­stel­lung der Weis­sen zur afro-ame­ri­ka­ni­schen Bevöl­ke­rung im Süden India­nas im 19. Jahr­hun­dert aus­sagt: Ein­sie­deln hat sei­nen Grün­dun­gen immer eine Kopie des Ein­sied­ler Gna­den­bil­des geschenkt. Für St. Mein­rad muss­te die Madon­na aller­dings weiss sein. Erst im 20. Jahr­hun­dert wur­de es mög­lich, die­se Sta­tue durch eine Schwar­ze Madon­na zu erset­zen.Wel­cher Aspekt erscheint Ihnen noch wichtig?Es ist wich­tig, sich mit der Geschich­te zu beschäf­ti­gen – auch wenn sie schmerz­voll ist –, um die Gegen­wart zu ver­ste­hen. Die Leh­ren muss ich aber im Hier und Heu­te zie­hen. Da ich immer noch Leh­rer bin, ist es für mich wich­tig, Bil­dung nicht zu ver­wech­seln mit dem Über­stül­pen mei­ner Mei­nun­gen. Ger­ne beglei­te ich Schü­le­rin­nen und Schü­ler auf einem Stück Weg und hof­fe dabei, sie in die Frei­heit Chri­sti zu füh­ren. Die­se Auf­fas­sung von Mis­si­on rech­net mit der Frei­heit die­ser jun­gen Men­schen und damit, dass sie selbst ent­decken müs­sen, was in ihnen ange­legt ist. Ver­ant­wor­tung ist für mich christ­lich gese­hen dann eine Ant­wort – auf den Anruf Got­tes, der an das Gewis­sen jedes Men­schen ergeht.Inter­view: Rapha­el Rauch, kath.ch (stark gekürz­te Fassung) 
Christian von Arx
mehr zum Autor
nach
soben