Seel­sor­ge: Der Digi­ta­li­sie­rung bewusst begegnen

Seel­sor­ge: Der Digi­ta­li­sie­rung bewusst begegnen

  • Soll ich Freund­schafts­an­fra­gen von Fir­man­den auf Face­book anneh­men? Auf wel­chem Kanal errei­chen Kate­che­tin­nen ihre Schü­ler? Dür­fen Bischö­fe twit­tern? Mit sol­chen Fra­gen befass­te sich die Aar­gaui­sche Pasto­ral­kon­fe­renz an einer Tagung in der Prop­stei Wis­li­kofen zum The­ma «Digi­ta­li­sie­rung in der Kirche».
  • Rund 70 Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­ger dis­ku­tier­ten in ver­schie­de­nen Ate­liers über Lust und Frust der Digi­ta­len Revolution.
 «Eigent­lich ist es wie beim Ski­fah­ren», ver­glich Urs Sta­del­mann, «man müss­te zuerst einen Ein­stu­fungs­test machen.» Damit illu­strier­te der Refe­rent, wie unter­schied­lich das Vor­wis­sen im Bereich der digi­ta­len Medi­en bei sei­nen Zuhö­rern mei­stens ist. Wäh­rend die einen unsi­cher im Stemm­bo­gen her­um­rut­schen, kur­ven ande­re bereits schwung­voll die schwar­ze Piste hin­un­ter. So sas­sen auch an der Tagung in der Prop­stei Wis­li­kofen Seel­sor­gen­de, die knapp eine Whats­app-Nach­richt tip­pen kön­nen, neben sol­chen, die eine Pfar­rei­web­sei­te pro­gram­mie­ren.

Wir leben in ver­schie­de­nen Welten

Urs Sta­del­mann, Ver­ant­wort­li­cher für die Berei­che Pasto­ral und Kirch­li­che Medi­en bei der Römisch-Katho­li­schen Lan­des­kir­che Luzern, mach­te klar, dass die Digi­ta­li­sie­rung nicht als Ent­wick­lung, son­dern als Revo­lu­ti­on ver­stan­den wer­den muss. Inner­halb von zehn Jah­ren haben Com­pu­ter, Han­dy und Inter­net unse­ren All­tag radi­kal ver­än­dert.Wie die Digi­ta­li­sie­rung die Gesell­schaft beein­flusst, hat­te zuvor schon Manue­la Specker von Cari­tas Schweiz in ihrem Vor­trag skiz­ziert. Digi­ta­le Medi­en schaf­fen in einem gewis­sen Sinn unter­schied­li­che Rea­li­tä­ten: Geben zwei Per­so­nen den glei­chen Such­be­griff in eine Such­ma­schi­ne ein, zei­gen ihre Gerä­te nicht die glei­chen Tref­fer an. «Die­ser Tat­sa­che kann man sich nicht ver­schlies­sen. Doch es ist wich­tig, ein Bewusst­sein für den rich­ti­gen Umgang mit digi­ta­len Medi­en zu ent­wickeln», lau­te­te das Fazit von Jugend­seel­sor­ger Tho­mas Schei­bel nach die­sem ersten Vor­trag.

38 Mil­lio­nen Whats­App-Nach­rich­ten pro Minute

In wel­chem Mass digi­ta­le Medi­en unser Leben bestim­men, zeig­te Urs Sta­del­mann im zwei­ten Refe­rat anhand eini­ger Zah­len. Im Jahr 2018 wur­den in einer Minu­te 4,3 Mil­lio­nen Vide­os auf You­tube ange­schaut, 3,7 Mil­lio­nen Such­an­fra­gen in Goog­le getippt und 38 Mil­lio­nen Whats­app-Nach­rich­ten ver­schickt. Wie aus einer Erhe­bung des Bun­des­am­tes für Sta­ti­stik aus dem Jahr 2017 her­vor­geht, haben bis zu 99 Pro­zent der 15- bis 54-jäh­ri­gen Schwei­zer einen Inter­net­zu­gang. Aus­ge­hend von die­sen digi­ta­len Tat­sa­chen stell­te der Refe­rent eini­ge digi­ta­le Trends wie Tik­Tok oder Seg­nen­de Robo­ter vor.Urs Sta­del­manns Aus­füh­run­gen und die anschlies­sen­de Dis­kus­si­on zeig­ten, dass die Digi­ta­li­sie­rung für Pfar­rei­en nicht bloss eine Chan­ce ist, son­dern ein Muss: «Die Digi­ta­li­sie­rung ist längst Tat­sa­che, man kann sich ihr gar nicht ent­zie­hen», mein­te ein Pasto­ral­as­si­stent. Urs Sta­del­mann, aus­ge­bil­de­ter Reli­gi­ons­päd­ago­ge mit einer Wei­ter­bil­dung in Medi­en­päd­ago­gik, for­der­te, dass die Kir­che einen Grund­satz­ent­scheid fäl­len müs­se: Neue Medi­en ja oder nein? Lau­te die Ant­wort «ja», dann müs­se eine Pfar­rei dies auch rich­tig anpacken.

Lebens­na­he Arti­kel und Vide­os sind gefragt

Der gröss­te Teil der Pasto­ral­räu­me, Pfar­rei­en und Kirch­ge­mein­den hat eine eige­ne Web­sei­te. Die­se muss gut auf­find­bar sein und die Men­schen mit­ten in ihrem Leben mit ihren Fra­gen, Sor­gen, Gedan­ken und Hoff­nun­gen errei­chen. Gefragt sind lebens­na­he Arti­kel und Vide­os in einer leicht ver­ständ­li­chen Spra­che. Men­schen inter­es­sie­ren sich für die Lebens­er­fah­run­gen und Mei­nun­gen ande­rer. Aus­tausch und Begeg­nung sol­len auch online mög­lich und lust­voll sein. Als Bei­spiel zeig­te Urs Sta­del­mann die Platt­form kirche-wirkt.ch der katho­li­schen Kir­che im Kan­ton Luzern.Gute Erfah­run­gen machen Kirch­ge­mein­den mit nie­der­schwel­li­gen Ange­bo­ten, wel­che die Mit­glie­der ein­fach und unver­bind­lich nüt­zen kön­nen, ohne sich zu regi­strie­ren oder anzu­mel­den. Urs Sta­del­mann nann­te als Bei­spie­le einen digi­ta­len Advents­ka­len­der oder eine Kaf­fee­kar­te mit QR-Code fürs Kir­chen­kaf­fee. Zen­tral dafür, dass die Digi­ta­li­sie­rung für die Kir­che eine Chan­ce sein kann, ist die Medi­en­kom­pe­tenz. Sie bedeu­tet, dass Seel­sor­ger, Jugend­li­che, Eltern und Kin­der Medi­en im All­tag nut­zen, ihre Mecha­nis­men ver­ste­hen und die Medi­en gestal­ten kön­nen.

Zwie­späl­ti­ge Gefüh­le bei den Seelsorgenden

Die Dis­kus­si­on im Anschluss ans Refe­rat sowie die Aus­tausch­run­den am Nach­mit­tag zeig­ten, dass unter den Aar­gau­er Pastor­al­mit­ar­bei­tern die Digi­ta­li­sie­rung zwie­späl­ti­ge Gefüh­le her­vor­ruft. Das unkon­trol­lier­ba­re Sam­meln von Daten macht vie­len Sor­gen. Zwar sei ein digi­ta­ler Über­wa­chungs­staat, wie er in Chi­na bereits eta­bliert ist, in der Schweiz schwer vor­stell­bar, doch wer sich auf eine Stel­le bewer­be, wer­de ja auch hier­zu­lan­de gegoo­gelt. «Und wenn dann die fal­schen Fotos auf­tau­chen, fällt der Bewer­ber durchs Raster», brach­te eine Dis­kus­si­ons­teil­neh­me­rin ein. Und ein ande­rer ergänz­te: «In irgend­ei­ner Cloud wer­den via Smart­watch alle mög­li­chen Kör­per­da­ten gespei­chert.»«Klar, Whats­app und Co. sam­meln unse­re Daten. Doch soll ich die­se Dien­ste des­halb nicht mehr nüt­zen?», frag­te eine Kate­che­tin rhe­to­risch. Peter Mich­alik, Mit­ar­bei­ter der Fach­stel­le Bil­dung und Prop­stei zog einen Ver­gleich: «Im Stras­sen­ver­kehr ster­ben Men­schen. Des­halb ver­zich­te ich aber nicht aufs Auto­fah­ren, son­dern pas­se mein Ver­hal­ten so an, dass die Gefahr klei­ner wird. So soll­ten wir doch auch mit den digi­ta­len Medi­en umge­hen.»

Erst nach­den­ken, dann posten

Anlass zu Kon­tro­ver­sen gab die Fra­ge, wie Kate­che­ten und Jugend­seel­sor­ger mit Freund­schafts­an­fra­gen Jugend­li­cher umge­hen sol­len. «Ich neh­me Freund­schafts­an­fra­gen nicht an, weil ich den Anspruch habe, mich bei mei­nen Freun­den ein­zu­mi­schen, wenn sie Din­ge posten, mit denen ich nicht ein­ver­stan­den bin. Freund­schafts­an­nah­me bedeu­tet eine gewis­se Ver­ant­wor­tung!», zeig­te sich eine Kate­che­tin über­zeugt. Ivo Büh­ler, kirch­li­cher Jugend­ar­bei­ter, mein­te: «Ich neh­me Freund­schafts­an­fra­gen an. Das Bild, das ich auf mei­nem Pro­fil von mir abge­be, bestim­me ich. Wer sich in den Unter­ho­sen foto­gra­fie­ren lässt, ist defi­ni­tiv sel­ber schuld.»
Marie-Christine Andres Schürch
mehr zum Autor
nach
soben