Lour­des – Eine Begeg­nung unter Frauen

Lour­des – Eine Begeg­nung unter Frauen

Lour­des – Eine Begeg­nung unter Frauen

Wall­fahrts­or­te als weib­li­che Kraft­or­te erfahren

Einen neu­en Blick auf Got­tes- und Mari­en­bil­der wer­fen, bei der Bibel­aus­le­gung, der Glau­bens­leh­re und der prak­ti­schen Theo­lo­gie genau­er hin­schau­en und bestehen­de, dis­kri­mi­nie­ren­de Ele­men­te des Glau­bens kri­tisch anfra­gen – dar­um geht es Moni­ka Hun­ger­büh­ler. Sie ist femi­ni­sti­sche Theo­lo­gin und Seel­sor­ge­rin und bie­tet eine Lour­des­wall­fahrt an, die den Blick auf die weib­li­chen Prot­ago­ni­stin­nen die­ser Orte lenkt: Maria und Ber­na­dette Soubirou.Lour­des – der Wall­fahrts­ort der Kran­ken. Ein Ort mit einer Fül­le an Heil­ri­tua­len. Es wird gemein­sam geklagt und gesun­gen, die Kran­ken wer­den geseg­net und tau­chen in die Quel­le hin­ab. Die­ses Bild haben wohl die mei­sten Men­schen im Kopf, wenn sie an Lour­des den­ken.Lour­des – der Kraft­ort für Mäd­chen und Frau­en. Das ist für vie­le sicher ein neu­es Bild. Es ist das Bild, das Moni­ka Hun­ger­büh­ler ins Zen­trum stellt mit der femi­ni­sti­schen Wall­fahrt, die sie die­ses Jahr bereits zum zwei­ten Mal anbie­tet. «Femi­ni­sti­sche Wall­fahrt» – Was hat man sich dar­un­ter vor­zu­stel­len?

Neue Zugän­ge zu Ber­na­dette und Maria

Hun­ger­büh­ler war sich lan­ge sicher: Nach Lour­des wür­de sie nie fah­ren. Mit die­ser Form der Mari­en­fröm­mig­keit konn­te sie nichts anfan­gen. Doch die­se Ein­stel­lung änder­te sich im Jahr 2008. Anläss­lich des 150-Jahr-Jubi­lä­ums der ersten Erschei­nung in Lour­des hör­te sie ein Inter­view im SRF, bei dem die Sozio­lo­gin und ana­ly­ti­sche Psy­cho­the­ra­peu­tin Dr. Ursu­la Ber­nau­er ihren Blick auf Ber­na­dette Sou­bi­rou rich­te­te; auf das Mäd­chen, das die Erschei­nun­gen in Lour­des hat­te. «Die­ses Inter­view hat für mich eine ganz gros­se Tür geöff­net, hin zu Ber­na­dette, hin zu dem, was damals pas­siert sein könn­te in Lour­des und dar­über hin­aus hin zu einem neu­en Bild von Maria», erklärt Hun­ger­büh­ler. In den Jah­ren 2015 und 2017 war sie als geist­li­che Beglei­te­rin bei Lour­des­wall­fahr­ten mit dabei und brach­te ihren Input zum The­ma bei Impul­sen und in Got­tes­dien­sten ein. 2022 schliess­lich bot sie zum ersten Mal eine gan­ze Wall­fahrt spe­zi­ell unter die­sem Blick­win­kel an.Wäh­rend der femi­ni­stisch-theo­lo­gi­schen Wall­fahrt teilt Hun­ger­büh­ler ihre beson­de­re Per­spek­ti­ve auf das Gesche­hen, auf Ber­na­dette und auch auf Maria mit ihren Mit­rei­sen­den. Am Anfang des­sen, was den Wall­fahrts­ort Lour­des heu­te aus­macht, steht ein unge­bil­de­tes, armes, kran­kes pyre­näi­sches Bau­ern­mäd­chen, dem eine weib­li­che Gestalt erscheint. Ber­na­dette spielt heu­te an die­sem Ort jedoch nur noch eine ver­schwin­den­de Rol­le. Hun­ger­büh­ler schaut hier mit dem femi­ni­stisch-theo­lo­gi­schen Blick genau­er hin: Wer war die­se 14-jäh­ri­ge Jugend­li­che? Wel­che Bedeu­tung hat es, dass genau Ber­na­dette die­se Erschei­nung hat­te? Und wel­che Bedeu­tung kann das all­ge­mein für Mäd­chen an der Schwel­le zum Frau­sein haben? Auch das Mari­en­bild an die­sem Ort – und gene­rell – wird von ihr kri­tisch beleuch­tet. Sie möch­te die dog­ma­ti­sier­te Maria ihrer Dog­men, also der lehr­amt­li­chen Glau­bens­sät­ze, ent­klei­den, auf Grund­la­ge der bibli­schen Zeug­nis­se, und fragt: Um wen han­delt es sich bei Maria? Inwie­weit hat sie auch die Posi­ti­on bezie­hungs­wei­se Funk­ti­on von anti­ken Göt­tin­nen über­nom­men? «Es geht um Wie­der­an­eig­nung von Tra­di­ti­on, es geht um Ermäch­ti­gung von Frau­en und von all denen, die Vor­bil­der suchen und brau­chen», so Hun­ger­büh­ler.

Das pyre­näi­sche Mäd­chen im Mittelpunkt

Mit dem theo­lo­gi­schem Input kön­nen die Rei­sen­den Lour­des neu erfah­ren. | © Moni­ka Hungerbühler
Bei den Auf­ent­hal­ten in Lour­des möch­te Hun­ger­büh­ler Ber­na­dette mehr Raum geben, ihr eine Stim­me geben. Wie schil­dert das Mäd­chen das, was es gese­hen hat? Ber­na­dette beschreibt eine weib­li­che Per­son – so gross und so alt wie sie, bar­fuss, wie sie, die im sel­ben pyre­näi­schen Dia­lekt zu ihr spricht. Wenn sie spä­ter davon berich­tet, bezeich­net sie die Erschei­nung in ihrem Dia­lekt als «Aquerò», zu deutsch «das da». Bis zuletzt über­nimmt sie an kei­ner Stel­le die Bezeich­nung von der Jung­frau Maria. Etwa ab der Mit­te der Erschei­nun­gen wird der Druck sei­tens der Kir­che so gross, dass sie die Erschei­nung fragt, wer sie sei. Die­se ant­wor­tet ihr: «Ich bin die unbe­fleck­te Emp­fäng­nis.» Ab die­sem Zeit­punkt hat das, was sie erlebt hat, das für sie «ganz Ande­re», das Unaus­sprech­li­che, einen Namen und die Men­schen um sie her­um kön­nen es nun ver­ste­hen und Anteil dar­an haben. Eini­ge Jah­re spä­ter wird ein Bild­hau­er beauf­tragt, eine Sta­tue für den Wall­fahrts­ort anzu­fer­ti­gen – sie steht bis heu­te dort. Ber­na­dette wur­de bei der Kon­zep­ti­on nicht mit­ein­be­zo­gen. Als sie die Sta­tue sieht, sagt sie: «So hat sie nicht aus­ge­se­hen. Sie hat mich ange­se­hen, ihr Kopf war mir zuge­neigt.» Doch Ber­na­dettes Mei­nung scheint kei­ne Rol­le zu spie­len. Die femi­ni­sti­sche Wall­fahrt setzt dem etwas ent­ge­gen, sie gibt den Pil­gern­den die Mög­lich­keit, genau­er auf Ber­na­dette zu schau­en. Mit die­sem Wis­sen über das Mäd­chen, dem sich die Erschei­nung gezeigt hat, kön­nen sich die Rei­sen­den dem Ort neu wid­men.

Schwar­ze Madonnen

In Roca­ma­dour kön­nen die Pil­gern­den die Schwar­ze Madon­na auf sich wir­ken las­sen. | © Thé­rè­se Gaigé/Wikimedia Commons
Lour­des ist aber nicht die ein­zi­ge Sta­ti­on der Wall­fahrt. Auf dem Pro­gramm ste­hen noch wei­te­re Orte, an denen die Pil­gern­den einen neu­en Zugang zu Maria bekom­men. «Ein schö­nes Bei­spiel ist der Ort Roca­ma­dour», führt Hun­ger­büh­ler aus. «Es gibt hier eine Kapel­le mit einer Schwar­zen Madon­na. Der Wall­fahrts­ort ist ein mit­tel­al­ter­li­ches, mehr­stöcki­ges Städt­chen an einem Hang. Von dort hat man eine fan­ta­sti­sche Aus­sicht. Auf den ver­schie­de­nen Ebe­nen der Stadt befin­den sich ver­schie­de­ne Kir­chen und Kapel­len. Bereits im Car auf dem Weg dort­hin gebe ich den Pil­ge­rin­nen und Pil­gern Infor­ma­tio­nen zum Ort, zu der Schwar­zen Madon­na im Spe­zi­el­len, aber auch zu Schwar­zen Madon­nen im All­ge­mei­nen und zu ver­schie­de­nen Mari­en­bil­dern. Aus­ser­dem ver­schick­te ich nach der Rei­se Hand­outs, sodass die Men­schen die Infos noch­mals nach­le­sen konn­ten. Das The­ma ‹Schwar­ze Madon­na› ist auch ein sehr span­nen­des. Wir gehen der Fra­ge nach, wie ihr Zusam­men­hang zu ande­ren schwar­zen Göt­tin­nen ist.» Ins­ge­samt möch­te Hun­ger­büh­ler mit ihren Wall­fahr­ten Frau­en – und auch inter­es­sier­te Män­ner — errei­chen, die die Tra­di­ti­on ken­nen und denen es ähn­lich geht, wie ihr, bevor sie sich inten­si­ver mit dem femi­ni­stisch-theo­lo­gi­schen Blick auf Lour­des aus­ein­an­der­ge­setzt hat: Men­schen, die bei einer tra­di­tio­nel­len Wall­fahrt sagen wür­den: «Lour­des, das ist nichts für mich.» Ihnen soll die Wall­fahrt die Mög­lich­keit geben, Mari­en­wall­fahrts­or­te als Kraft­or­te für Frau­en zu ent­decken.Leo­nie Wollensack
Leonie Wollensack
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