Gemein­sam etwas ent­ste­hen lassen

Gemein­sam etwas ent­ste­hen lassen

Gemein­sam etwas ent­ste­hen lassen

Vere­na Gaut­hi­er Fur­rer blickt zurück auf fünf Jah­re «Fach­stel­le Dia­ko­nie» der Kir­che Baselland

2018 beschliesst die Römisch-katho­li­sche Kir­che des Kan­tons Basel-Land­schaft die Grün­dung einer neue Fach­stel­le Dia­ko­nie. Die Haupt­auf­ga­ben: Unter­stüt­zung und Bera­tung der Pasto­ral­räu­me und der Fach­stel­len. Vere­na Gaut­hi­er Fur­rer ist von Beginn an die Lei­te­rin. Nun geht sie in den Ruhestand.Mit einem «dia­ko­ni­schen Blick» auf die Gesell­schaft schau­en und sich um die­je­ni­gen küm­mern, die durch das sozia­le Hilfs­netz fal­len – mit die­ser Visi­on begann Vere­na Gaut­hi­er Fur­rer 2019 als Lei­te­rin der neu gegrün­de­ten Fach­stel­le Dia­ko­nie. Sie erklärt: «Die Arbeit der Dia­ko­nie ori­en­tiert sich an Jesus selbst. Er küm­mer­te sich um die Men­schen, um die sich sonst nie­mand küm­mer­te, die Men­schen am Rand der Gesell­schaft. Dabei frag­te er nicht ‹Wer bist du? Was ist dein Stand oder dei­ne Reli­gi­on?› son­dern er frag­te ‹Wo ist dei­ne Not?›, das ist Dia­ko­nie.» Hil­fe ist wich­tig und Ideen gab und gibt es vie­le. Die Schwie­rig­keit war es, die ver­schie­de­nen Anbie­ter und die bereits exi­stie­ren­den Ange­bo­te zu einem trag­fä­hi­gen, effi­zi­en­ten, für jeden erreich­ba­ren Hilfs­netz zu ver­knüp­fen. Als Lei­te­rin der Fach­stel­le hat­te Gaut­hi­er Fur­rer es sich zur Auf­ga­be gemacht, die­se Netz­werk­ar­beit zu über­neh­men. Sie war einer­seits Ansprech­part­ne­rin für alle in der Dia­ko­nie Täti­gen in den Pfar­rei­en, also für die­je­ni­gen, die direkt in Kon­takt mit den unter­stütz­ten Men­schen waren, um ihnen das an die Hand zu geben, was sie für ihre Arbeit vor Ort brauch­ten.  Auf der ande­ren Sei­te pfleg­te sie Kon­tak­te zu ver­schie­de­nen Akteu­ren wie zur Cari­tas bei­der Basel, zur ATD Vier­te Welt, zur Win­ter­hil­fe, zu ihrem Pen­dant in Basel-Stadt, zu den staat­li­chen Fach­stel­len,  zu den dia­ko­ni­schen Stel­len der refor­mier­ten Kir­che und grund­sätz­lich zu allen sozia­len Anbie­tern im Kan­ton Basel-Land­schaft. «Ich war die Schnitt­stel­le zwi­schen den Pfar­rei­en, die ja unse­re Kun­den sind, und den ande­ren Akteu­ren. Es macht kei­nen Sinn, in den luft­lee­ren Raum hin­ein­zu­agie­ren. So vie­les gibt es schon und ich habe geschaut, wer was anbie­tet und die Leu­te dann zusam­men­ge­bracht», so Gaut­hi­er Fur­rer. «Das war auch das, was mir an mei­ner Arbeit am mei­sten Spass gemacht hat. Der Kon­takt zu den Men­schen und gemein­sam etwas ent­ste­hen zu las­sen. In die­ser Zeit ist eine wirk­lich gute Zusam­men­ar­beits­kul­tur ent­stan­den.»

Kir­che zeigt sich als systemrelevant

Bevor sie zur Lei­te­rin der Fach­stel­le Dia­ko­nie im Dienst der Kir­che wur­de, arbei­te­te Gaut­hi­er Fur­rer vie­le Jah­re als Sozi­al­ar­bei­te­rin in Gemein­den und Insti­tu­tio­nen der Regi­on Basel. «In all den Jah­ren habe ich immer gut mit den kirch­li­chen Sozi­al­dien­sten zusam­men­ge­ar­bei­tet und auch beob­ach­tet, wie der kirch­li­che Sozi­al­dienst mehr und mehr an Bedeu­tung gewon­nen hat. Eini­ge wich­ti­ge Aspek­te der sozia­len Arbeit der Gemein­den sind im Zuge von Spar­mass­nah­men weg­ge­fal­len und die kirch­li­chen Sozi­al­dien­ste haben die­se Lücke geschlos­sen», erläu­tert sie. Es hand­le sich dabei gera­de um die Berei­che der Sozi­al­ar­beit, die einen Teil des Kern­ge­schäfts der Sozi­al­dien­ste aus­mach­ten: Bera­tung von Men­schen in Armut trotz Erwerbs­tä­tig­keit, bei Schul­den oder ander­wei­ti­gen Sor­gen, eine Anlauf­stel­le, die immer ein offe­nes Ohr für die aku­ten Sor­gen und Bedürf­nis­se aller Men­schen hat. «Die Kir­che ist mit ihrer sozia­len Arbeit zuneh­mend pro­fes­sio­nell und inno­va­tiv. Und mit ihrem Ein­satz in die­sem wich­ti­gen Bereich hat sie sich auch als system­re­le­vant gezeigt», betont Gaut­hi­er Fur­rer.

Netz­wer­ke auf­bau­en und sicht­bar machen

Die­se Rele­vanz durf­te und muss­te die Dia­ko­nie bereits in meh­re­ren Kri­sen unter Beweis stel­len. Wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie herrsch­te viel Unsi­cher­heit und Unklar­heit. Die Fach­stel­le Dia­ko­nie konn­te in die­ser Pha­se oft schnel­ler reagie­ren als staat­li­che Insti­tu­tio­nen und eta­blier­te bei Bedarf zügig ver­schie­de­ne Bera­tungs- und Hilfs­an­ge­bo­te für die Men­schen. In die­ser Zeit ent­stand bei­spiel­wei­se der Cari­tas-Lie­fer­dienst. Es wur­de ein Tele­fon­dienst eta­bliert, bei dem bedürf­ti­ge Men­schen anru­fen und ver­gün­stig­te Lebens­mit­tel in die Pfar­rei und teil­wei­se auch zu sich nach Hau­se lie­fern las­sen konn­ten. Auch wäh­rend der Ukrai­ne­kri­se konn­te schnell Hil­fe gelei­stet wer­den. «Ich habe sofort Kon­takt mit den kan­to­na­len Stel­len auf­ge­nom­men und gefragt: ‹Was braucht ihr von uns?›. Die Ant­wort war: ‹Wir brau­chen Men­schen, die die Geflüch­te­ten auf­neh­men kön­nen›. Ich habe die­se Infor­ma­ti­on an mei­ne Kon­tak­te gestreut, die Ant­wor­ten auf­ge­nom­men und gesam­melt und anschlies­send an den Kan­ton wei­ter­ge­lei­tet», erin­nert sich Gaut­hi­er Fur­rer. Sowohl bei der Coro­na- als auch bei der Ukrai­ne­kri­se war es zen­tral, rele­van­te Infor­ma­tio­nen zu sam­meln und sie an die Ver­ant­wort­li­chen der Pfar­rei­en wei­ter­zu­ge­ben, damit die Hil­fe der Betrof­fe­nen vor Ort  rasch und qua­li­fi­ziert erfol­gen konn­te.  Auch bei Kri­sen, die eher schlei­chend kom­men, ist die Dia­ko­nie im Ein­satz. Ein­sam­keit ist nach Erfah­rung der Fach­stel­len­lei­te­rin ein The­ma, das immer mehr an Gewicht gewinnt. Gemein­sam mit der refor­mier­ten Kir­che hat die Fach­stel­le Dia­ko­nie eine Erhe­bung zum The­ma «Seel­sor­ge im Alter» gemacht und es kri­stal­li­sier­te sich unter ande­rem ein gros­ses Bedürf­nis bei den Men­schen über 65 her­aus: «Mög­lich­kei­ten der Ein­sam­keit zu ent­flie­hen». Gemein­sam mit der refor­mier­ten Kir­che rief die Fach­stel­le Dia­ko­nie die Web­site sozial-kathbl.ch, unter dem Mot­to «Ein­sam Gemein­sam», ins Leben. Das Ziel: Die ver­schie­de­nen Ange­bo­te gegen Ein­sam­keit und Treff­punk­te ver­net­zen und sicht­bar machen. Die Sozi­al­ar­bei­ten­den in den Pfar­rei­en hal­ten die Daten immer aktu­ell, um so die Men­schen auf aktu­el­le Ange­bo­te hin­wei­sen zu kön­nen –pfar­rei­über­grei­fend.

Kir­che braucht Diakonie

Rück­blen­de: Es ist der 16 Okto­ber 2021. Im Land­rat­saal in Lies­tal hat sich eine aus­ser­ge­wöhn­li­che Melan­ge ver­schie­den­ster Men­schen zusam­men­ge­fun­den. Anwe­send sind Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker, Fach­leu­te, Pres­se­leu­te und armuts­be­trof­fe­ne Men­schen. Sie haben sich ver­sam­melt, um die zwei­te Armuts­kon­fe­renz abzu­hal­ten. Unter den Men­schen ist auch Gaut­hi­er Fur­rer. Sie ist eine der Initia­to­rin­nen der Kon­fe­renz. Den Betrof­fe­nen eine Stim­me geben, ihnen die Gele­gen­heit ein­räu­men, ihre Bedürf­nis­se zu äus­sern, dar­um geht hier. Der Druck auf die Betrof­fe­nen gross. Ad hoc eine Rede vor so vie­len Ver­sam­mel­ten zu hal­ten, fällt wohl den mei­sten Men­schen nicht leicht. Gaut­hi­er Fur­rer hat die Betrof­fe­nen des­halb bereits im Vor­feld inter­viewt und prä­sen­tiert die Bei­trä­ge wäh­rend der Kon­fe­renz mit­tels Video­bot­schaf­ten. «Das war rück­blickend der berüh­rend­ste Moment mei­ner Arbeit auf die­ser Stel­le», sagt sie. «Die armuts­be­trof­fe­nen Men­schen sas­sen da bei den Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern, sie nah­men die Gele­gen­heit wahr, ein State­ment abzu­ge­ben. Das ist für mich sinn­bild­lich für mei­ne gesam­te Arbeit bei der Fach­stel­le Dia­ko­nie.»Gaut­hi­er Fur­rer resü­miert: «Immer wie­der habe ich im Lau­fe mei­ner Tätig­keit die Rück­mel­dung bekom­men, dass die dia­ko­ni­sche Arbeit das ist, was die Men­schen an der Kir­che beson­ders schät­zen. Intern wird von eini­gen die Fra­ge gestellt, ob wir uns Dia­ko­nie lei­sten kön­nen. Mei­ne Ant­wort: ‹Wir kön­nen es uns nicht lei­sten, es nicht zu tun.› Die Dia­ko­nie ist sowohl Auf­trag als auch Chan­ce für unse­re Kir­che. Jetzt und in der Zukunft.»Leo­nie Wollensack 
Leonie Wollensack
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