Licht des Ver­trau­ens in der Weite

Licht des Ver­trau­ens in der Weite

Psalm 139,8–12Wenn ich hin­auf­stie­ge zum Him­mel – dort bist du; wenn ich mich lager­te in der Unter­welt – sie­he, da bist du. Näh­me ich die Flü­gel des Mor­gen­rots, lies­se ich mich nie­der am Ende des Mee­res, auch dort wür­de dei­ne Hand mich lei­ten und dei­ne Rech­te mich ergrei­fen. Wür­de ich sagen: Fin­ster­nis soll mich ver­schlin­gen und das Licht um mich soll Nacht sein! Auch die Fin­ster­nis ist nicht fin­ster vor dir, die Nacht leuch­tet wie der Tag (…).Ein­heits­über­set­zung 2016 

Licht des Ver­trau­ens, auch in der uner­mess­li­chen Weite

Hohe Säu­len, schmuck­los, Licht und noch­mals Licht: Ehe­ma­li­ge Zister­zi­en­ser­ab­tei Alco­ba­ça, die gröss­te Kir­che Por­tu­gals. | © Bert­hold Werner/wikimedia
Vor Jah­ren, als ich auf einer Por­tu­gal­rei­se in eine Klo­ster­kir­che trat, habe ich die Grös­se und Schön­heit die­ser Kir­che nicht fas­sen kön­nen. Es war in Alco­ba­ça, in einer der gröss­ten Klo­ster­an­la­gen der Zister­zi­en­ser aus dem 12. Jahr­hun­dert, nörd­lich von Lis­sa­bon. Die Grös­se unüber­biet­bar. Hohe Säu­len, schmuck­los, Licht und noch­mals Licht. Nichts Far­bi­ges, nur das war­me Licht des Steins der Säu­len und Decken und das her­ein­fal­len­de war­me Licht des Tages. Müde von der Hit­ze und der Rei­se schoss es mir durch den Kopf: Man kann es auch über­trei­ben mit der Ein­fach­heit, ohne Schmuck, nur Stein und Licht. Dann ver­gass ich die Grös­se und das Gefühl des Rau­mes, in dem der Mensch fast ein Nichts gegen­über der Wei­te und Höhe des Rau­mes und der Geschich­te war.Kürz­lich, in der Müdig­keit und Hit­ze die­ser Tage, kamen mir die­ser Raum und sein war­mes Licht wie­der in den Sinn. Urplötz­lich hat­te ich alles vor dem inne­ren Auge. Erst jetzt erfass­te ich etwas von der Grös­se. Das Licht, unver­gess­lich, auf­ge­ho­ben in der Geschich­te der Auf­brü­che, ein­ge­bet­tet in die Dra­ma­tik der Zei­ten.Mei­ne Erfah­rung ver­bin­det mich mit dem hei­li­gen Bern­hard von Clairvaux. Die­ser tem­pe­ra­ment­vol­le, über alle Mas­sen enga­gier­te Mönch und Abt fas­zi­nier­te sei­ne Zeit. Der von sei­nem Den­ken inspi­rier­te Bau in Alco­ba­ça, wie auch zister­zi­en­si­sche Klö­ster in der Schweiz wie Mai­grau­ge und Haute­ri­ve, führt zur Ein­fach­heit und zur Tie­fe, Ein­fach­heit führt zum «Mehr». In sei­nen unzäh­li­gen Brie­fen, Aus­le­gun­gen bibli­scher Schrif­ten und Pre­dig­ten führ­te Bern­hard zur Tie­fe des Glau­bens und des unend­li­chen Ver­trau­ens:«Was ist Gott? Er ist Län­ge, Wei­te, Höhe und Tiefe.»Sol­che Wor­te füh­ren ins Zen­trum, ins Herz der Men­schen.Die Wei­te, Höhe, Län­ge und Tie­fe der Lebens­er­fah­run­gen erfas­sen wir oft erst im Nach­hin­ein. Urplötz­lich tau­chen sie auf und erfül­len oder erschrecken uns: Aha, so war es – ich wur­de damals beschützt. Oder wir den­ken im Nach­hin­ein: Da wäre es ent­lang gegan­gen … Die Grös­se der Schön­heit, aber auch die des Elends, ist uner­mess­lich. Wagt es, hin­ein­zu­tau­chen in die Grös­se des Her­zens, mag uns der umtrie­bi­ge und enga­gier­te Bern­hard von Clairvaux ermu­ti­gen. Habt kei­ne Angst.Eine jeni­sche Frau erzähl­te mir kürz­lich unver­mit­telt in Ein­sie­deln, wie sehr sie erfüllt ist vom Wis­sen, dass Gott sie nie ver­las­sen wird. Sie erleb­te die schreck­li­che Tren­nung von ihrer Fami­lie durch die Zwangs­mass­nah­men der Behör­den in einem Heim, wo sie wie­der­um aus­ge­stos­sen wur­de. Jetzt lebe sie glück­lich mit ihrer Fami­lie in ihrem Wohn­wa­gen auf einem Stand­platz. In ihr leuch­tet das Licht des Ver­trau­ens.Jen­seits, weit­ab oder tief unten, wird Got­tes Hand sicher füh­ren und zum Rech­ten schau­en (Ver­se 9–10 von Psalm 139).Anna-Marie Fürst, Theo­lo­gin, lang­jäh­ri­ge Gefäng­nis­seel­sor­ge­rin, frei­wil­li­ge Seel­sor­ge­rin in der Pre­di­ger­kir­che Zürich   
Christian von Arx
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